Entscheidungsstichwort (Thema)

Indizwirkung wegen Nichteinladung des schwerbehinderten Bewerbers bei der Bewerbung. Kein Vorstellungsgespräch bei verhaltensbedingt beendetem, früheren Arbeitsverhältnis. Persönlichkeitsrecht und Begründung eines Arbeitsverhältnisses

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Verletzung der in § 165 Satz 3 SGB IX geregelten Verpflichtung des öffentlichen Arbeitgebers, einen schwerbehinderten Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, begründet grundsätzlich die Vermutung einer Benachteiligung wegen der Behinderung. Diese Pflichtverletzung ist nämlich grundsätzlich geeignet, den Anschein zu erwecken, an der Beschäftigung schwerbehinderter Menschen nicht interessiert zu sein.

2. Der Gesetzeszweck des § 165 Satz 3 SGB IX gebietet es nicht, einen schwerbehinderten Bewerber zum Vorstellungsgespräch einzuladen, mit dem vor noch nicht einmal einem Jahr bereits ein Arbeitsverhältnis bestand, das der Arbeitgeber verhaltensbedingt noch während der sechsmonatigen Wartezeit des § 1 KSchG und des § 173 Abs. 1 Satz 1 SGB IX gekündigt hat.

3. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht begründet kein Recht auf Einstellung, d.h. auf Begründung eines Arbeitsverhältnisses. Es begründet lediglich einen Anspruch darauf, dass mit den eingereichten Bewerbungsunterlagen nicht in ehrverletzender Weise umgegangen wird.

 

Normenkette

SGB IX § 165 S. 3; AGG § 15 Abs. 2, § 7 Abs. 1, § 22; GG Art. 1, 2 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 33 Abs. 2; SGB IX § 173 Abs. 1 S. 1; BGB § 253 Abs. 1-2, § 823 Abs. 1-2; KSchG § 1; AGG § 3 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Bamberg (Entscheidung vom 05.08.2020; Aktenzeichen 2 Ca 101/19)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 19.01.2023; Aktenzeichen 8 AZR 437/21)

 

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts Bamberg vom 05.08.2020, Aktenzeichen: 2 Ca 101/19, wird auf Kosten des Berufungsführers zurückgewiesen.

2. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um Entschädigungsansprüche des schwerbehinderten Klägers wegen Nichtberücksichtigung seiner Bewerbung vom 20.12.2018 auf die von der Beklagten ausgeschriebene Stelle als Verwaltungsfachangestellter Teamassistenz Bürgermeisteramt. (In weiteren Rechtsstreiten der Parteien ging es unter dem Aktenzeichen 5 Sa 418/20 ebenfalls um Entschädigungsansprüche des Klägers wegen der Nichtberücksichtigung der Bewerbung vom 20.12.2018 auf die von der Beklagten ausgeschriebene Stelle als Verwaltungsfachangestellter Teamassistenz Bürgermeisteramt. Im Verfahren 5 Sa 419/20 ging es um Entschädigungsansprüche wegen der Nichtberücksichtigung der Bewerbungen des Klägers vom 21.06.19 und 22.06.2019 auf die von der Beklagten ausgeschriebene Stelle als Angestellter im Bereich Kämmerei und Hauptamt).

Der Kläger war bei der Beklagten bereits aufgrund eines befristeten Arbeitsvertrags vom 29.06.2018 / 03.07.2018 spätestens ab 01.07.2018 als Vollbeschäftigter in der Kämmerei (Beitragswesen/Feuerwehrwesen) angestellt (wegen des Arbeitsvertrags vergleiche Anlage K 1, Bl. 19 der beigezogenen Akte 2 Ca 575/18 des Arbeitsgerichts Bamberg). Die Einstellung des Klägers erfolgte auf Grund eines Vorstellungsgesprächs am 15.05.2018, an dem der Kläger und für die Beklagte der Personalverantwortliche Herr K... und die Personalsachbearbeiterin Frau Ko... teilgenommen haben. Im Laufe des Arbeitsverhältnisses entwickelten sich rasch zahlreiche Unstimmigkeiten und Streitigkeiten zwischen den Parteien, die u.a. Gegenstand des zwischen den Parteien vor dem Arbeitsgericht Bamberg unter dem Az. 2 Ca 575/18 geführten Verfahrens waren. Die Parteien stritten u.a. darüber, ob Beginn des Arbeitsverhältnisses - wie im Arbeitsvertrag ausgewiesen - der 01.07.2018 war oder schon der 11.06.2018, weil der Kläger bereits - nach Vortrag der Beklagten im Rahmen eines vom Kläger selbst angebotenen unentgeltlichen Praktikums - am 11. und 12.06.2018 sowie vom 19. bis 29.06.2018 in der Dienststelle tätig war. Die Parteien stritten außerdem über die zutreffende Eingruppierung des Klägers. Während die Beklagte den Kläger nach der Entgeltgruppe E 6 TVöD-V vergütete, machte der Kläger geltend, dass ihm eine Eingruppierung in die Entgeltgruppe E 8 im Rahmen des Vorstellungsgesprächs zugesagt worden sei, was die Beklagte in Abrede stellte. Vor diesem Hintergrund weigerte sich der Kläger, bei der Beklagten seine Kontodaten für die Entgeltabrechnung und Überweisung des Entgelts zur Verfügung zu stellen. Es entwickelte sich daher am 11.07.2018 ein E-Mail-Verkehr des Klägers mit Frau Ko.... In diesem behauptete der Kläger u.a., dass ihm im Vorstellungsgespräch "E 8 und unbefristet" in Aussicht gestellt worden sei, weshalb er im guten Glauben kostenfrei zur Probe gearbeitet habe. Frau Ko... stellte die behaupteten Zusagen in Abrede (wegen des E-Mail-Verkehrs wird auf die Anlagen B 4 und B 5, Bl. 186 ff der beigezogenen Akte 2 Ca 575/18, Bezug genommen). Die Parteien stritten außerdem über die leidensgerechte Beschäftigung des Klägers. Der Kläger weigerte sich aus gesundheitlichen Gründen, de...

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