Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorstellungsgespräch des schwerbehinderten Bewerbers bei einem öffentlichen Arbeitgeber. "Eignung" als umfassendes Qualifikationsmerkmal. Kein Vorstellungsgespräch bei offensichtlich fehlender Eignung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Schwerbehinderte Bewerber sollen durch das in § 165 Satz 3 SGB IX vorgesehene Vorstellungsgespräch die Möglichkeit erhalten, ihre Chance im Auswahlverfahren zu verbessern. Sie sollen dadurch die Chance haben, den Arbeitgeber von ihrer Eignung zu überzeugen.

2. Der Begriff "Eignung" in § 165 Satz 3 SGB IX verweist ganz allgemein auf die Eigenschaften, welche die zu besetzende Stelle von dem Bewerber fordert. Als umfassendes Qualifikationsmerkmal erfasst sie über die fachliche Eignung hinaus insbesondere die oftmals als "charakterliche Eignung" bezeichnete Eignung sowie die gesundheitliche Eignung, aber auch sonstige körperliche und psychische Voraussetzungen.

3. Stellen charakterliche Mängel eines Bewerbers ein offensichtliches Einstellungs- bzw. Bewerbungshindernis dar, kann der vom Gesetzgeber mit § 165 Satz 3 SGB IX verfolgte Zweck, dem schwerbehinderten Bewerber die Chance zu geben, den Arbeitgeber von seiner Eignung im weiteren Sinn zu überzeugen, von vornherein nicht erreicht werden. In diesem Fall ist ein Vorstellungsgespräch nicht erforderlich, es liegt dann auch keine ungerechtfertigte Benachteiligung des Bewerbers vor. Dies ergibt eine verfassungskonforme Auslegung des § 165 Satz 3 SGB IX.

 

Normenkette

SGB IX § 165 S. 3; AGG § 15 Abs. 2, § 7 Abs. 1, § 22; SGB IX a.F. § 82 S. 2; SGB IX § 173 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; GG Art. 1, 2 Abs. 1, Art. 33 Abs. 2; BGB § 253 Abs. 2, § 823 Abs. 1; KSchG § 1

 

Verfahrensgang

ArbG Bamberg (Entscheidung vom 05.08.2020; Aktenzeichen 2 Ca 554/19)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 19.01.2023; Aktenzeichen 8 AZR 438/21)

 

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts Bamberg vom 05.08.2020, Aktenzeichen: 2 Ca 554/19, wird auf Kosten des Berufungsführers zurückgewiesen.

2. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um Entschädigungsansprüche des schwerbehinderten Klägers wegen Nichtberücksichtigung seiner Bewerbung vom 27.03.2019 auf die von der Beklagten ausgeschriebene Stelle als Angestellter im Bauamt. (In den weiteren Rechtsstreiten der Parteien ging es unter dem Aktenzeichen 5 Sa 417/20 ebenfalls um Entschädigungsansprüche des Klägers wegen der Nichtberücksichtigung der Bewerbung vom 20.12.2018 auf die von der Beklagten ausgeschriebene Stelle als Verwaltungsfachangestellter Teamassistenz Bürgermeisteramt. Im Verfahren 5 Sa 419/20 ging es um Entschädigungsansprüche wegen der Nichtberücksichtigung der Bewerbungen des Klägers vom 21.06.19 und 22.06.2019 auf die von der Beklagten ausgeschriebene Stelle als Angestellter im Bereich Kämmerei und Hauptamt).

Der Kläger war bei der Beklagten bereits aufgrund eines befristeten Arbeitsvertrags vom 29.06.2018 / 03.07.2018 spätestens ab 01.07.2018 als Vollbeschäftigter in der Kämmerei (Beitragswesen/Feuerwehrwesen) angestellt (wegen des Arbeitsvertrags vergleiche An-lage K 1, Bl. 19 der beigezogenen Akte 2 Ca 575/18 des Arbeitsgerichts Bamberg). Die Einstellung des Klägers erfolgte auf Grund eines Vorstellungsgesprächs am 15.05.2018, an dem der Kläger und für die Beklagte der Personalverantwortliche Herr K... und die Personalsachbearbeiterin Frau Ko... teilgenommen haben. Im Laufe des Arbeitsverhältnisses entwickelten sich rasch zahlreiche Unstimmigkeiten und Streitigkeiten zwischen den Parteien, die u.a. Gegenstand des zwischen den Parteien vor dem Arbeitsgericht Bamberg unter dem Az. 2 Ca 575/18 geführten Verfahrens waren. Die Parteien stritten u.a. darüber, ob Beginn des Arbeitsverhältnisses - wie im Arbeitsvertrag ausgewiesen - der 01.07.2018 war oder schon der 11.06.2018, weil der Kläger bereits - nach Vortrag der Beklagten im Rahmen eines vom Kläger selbst angebotenen unentgeltlichen Praktikums - am 11. und 12.06.2018 sowie vom 19. bis 29.06.2018 in der Dienststelle tätig war. Die Parteien stritten außerdem über die zutreffende Eingruppierung des Klägers. Während die Beklagte den Kläger nach der Entgeltgruppe E 6 TVöD-V vergütete, machte der Kläger geltend, dass ihm eine Eingruppierung in die Entgeltgruppe E 8 im Rahmen des Vorstellungsgesprächs zugesagt worden sei, was die Beklagte in Abrede stellte. Vor diesem Hintergrund weigerte sich der Kläger, bei der Beklagten seine Kontodaten für die Entgeltabrechnung und Überweisung des Entgelts zur Verfügung zu stellen. Es entwickelte sich daher am 11.07.2018 ein E-Mail-Verkehr des Klägers mit Frau Ko.... In diesem behauptete der Kläger u.a., dass ihm im Vorstellungsgespräch "E 8 und unbefristet" in Aussicht gestellt worden sei, weshalb er im guten Glauben kostenfrei zur Probe gearbeitet habe. Frau Ko... stellte die behaupteten Zusagen in Abrede (wegen des E-Mail-Verkehrs wird auf die Anlagen B 4 und B 5, Bl. 186 ff der beigezogenen Akte 2 Ca 575/18, Bezug genommen). Die Parteien stritten außerdem über d...

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