Entscheidungsstichwort (Thema)

Zustellung eines Kündigungsschreibens per Einwurf-Einschreiben. Beweis des ersten Anscheins für ortsübliche Postzustellzeiten. Übliche Leerungszeit von Hausbriefkästen

 

Leitsatz (amtlich)

Der ordnungsgemäße Auslieferungsbeleg mit der Unterschrift eines Postbediensteten erbringt den Beweis des ersten Anscheins für den Zugang des Schreibens zum Zeitpunkt der üblichen Postzustellzeiten.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Wird ein Kündigungsschreiben per Einwurf-Einschreiben übersendet und legt der Absender den Einlieferungsbeleg und die Reproduktion des Auslieferungsbeleges mit der Unterschrift des Zustellers vor, spricht der Beweis des ersten Anscheins für den Zugang des Schreibens beim Empfänger.

2. Der Auslieferungsbeleg der Deutschen Post AG mit der Unterschrift des Zustellers erbringt auch den Beweis des ersten Anscheins für den Zugang des Schreibens zum Zeitpunkt der üblichen Postzustellzeiten. Erfolgte die Zustellung durch einen Mitarbeiter der Deutschen Post AG und nicht durch einen anderen Versanddienstleister, kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass der Mitarbeiter die Zustellungen im Rahmen seiner ihm zugewiesenen Arbeitszeiten vornimmt. Die dem jeweiligen Zusteller zugewiesenen Arbeitszeiten prägen damit regelmäßig auch die ortsüblichen Zustellzeiten.

3. Nach der allgemeinen Verkehrsanschauung ist damit zu rechnen, dass bei Hausbriefkästen im allgemeinen eine Leerung unmittelbar nach Abschluss der üblichen Postzustellzeiten erfolgt.

 

Normenkette

BGB § 130 Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Nürnberg (Entscheidung vom 23.11.2022; Aktenzeichen 4 Ca 4439/21)

 

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 23.11.2022, Az.: 4 Ca 4439/21, wird auf Kosten der Berufungsführerin zurückgewiesen.

2. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über den Zugang einer ordentlichen Kündigung. Die am 18.06.1986 geborene Klägerin war seit dem 01.04.2021 beim Beklagten zu einem Vierteljahresbruttoeinkommen in Höhe von € 30.272,70 als Zahnärztin beschäftigt. Arbeitsvertraglich ist eine vierteljährliche Kündigungsfrist zum Quartalsende vereinbart worden.

Mit Schreiben vom 28.09.2021 kündigte der Beklagte das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis zum 31.12.2021. Das Kündigungsschreiben wurde entsprechend dem Zustellungsnachweis der Deutschen Post AG vom 30.09.2021 (Anlagen B1 und B2) der Klägerin zugestellt.

Mit ihrer am 13.10.2021 beim Arbeitsgericht Nürnberg eingegangen Klage beantragt die Klägerin, die Feststellung, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung des Beklagten vom 28.09.2021 nicht zum 31.12.2021, sondern erst zum 31.03.2022 aufgelöst worden ist. Hinsichtlich des streitigen Sachvortrags sowie der gestellten Anträge wird auf den Tatbestand der arbeitsgerichtlichen Entscheidung mit dem Aktenzeichen 4 Ca 4439/21 verwiesen.

Das Arbeitsgericht hat mit Endurteil vom 23.11.2022 die Klage abgewiesen. Das Arbeitsgericht hat ausgeführt, dass aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme durch die Beklagte am 29.09.2021 das Kündigungsschreiben zur Post gegeben wurde und dieses am 30.09.2021 durch Einwurf in den Briefkasten der Klägerin eingeworfen und damit zugegangen sei. Unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 18.01.2022, Az: 1 Sa 159/21, folgt das Arbeitsgericht der Auffassung, dass bei Übersendung eines Schriftstücks per Einwurfschreiben und gleichzeitiger Vorlage des Einlieferungsbelegs unter Reproduktion des ordnungsgemäß unterzeichneten Auslieferungsbelegs ein Nachweis des ersten Anscheins für den Zugang dieses Schriftstücks beim Empfänger spreche. Der feststehende tatsächliche Geschehensablauf führe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu einem Einwurf der Sendung in das richtige Postfach bzw. den richtigen Briefkasten. Zwar seien fehlerhafte Zustellungen naturgesetzlich nicht ausgeschlossen, aber nach der Erfahrung so unwahrscheinlich, dass die Annahme eines Anscheinsbeweises gerechtfertigt sei. Das Kündigungsschreiben des Beklagten sei am 30.09.2021 so in den Machtbereich der Klägerin gelangt, so dass diese unter normalen Umständen am gleichen Tag hiervon hätte Kenntnis nehmen können. So bewirke der Einwurf in einen Briefkasten den Zugang, sobald nach der Verkehrsanschauung mit der nächsten Entnahme zu rechnen sei. Dabei sei im Interesse der Rechtssicherheit eine generalisierende Betrachtung geboten, wenn für den Empfänger unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit der Kenntnisnahme bestanden habe, sei es unerheblich, ob er daran durch Krankheit, zeitweilige Abwesenheit oder andere besondere Umstände einige Zeit gehindert gewesen sei, den Briefkasten zu leeren, da ihm insoweit eine Obliegenheit treffe, die nötigen Vorkehrungen für eine tatsächliche Kenntnisnahme zu treffen. Nachdem das Kündigungsschreiben von einem Bediensteten der Deutschen Post AG eingeworfen sei, sei auch davon auszugehen, dass dies zu den üblichen Pos...

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