Entscheidungsstichwort (Thema)

Kein Annahmeverzug bei nicht ordnungsgemäßem Angebot der Arbeitsleistung. Anspruch auf Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Kann der Arbeitnehmer nach ärztlichem Attest während der Corona-Pandemie keine Mund-Nasen-Bedeckung tragen und verlangt der Arbeitgeber aber zu Recht das Tragen einer solchen Bedeckung aus Arbeitsschutz- und Hygienegründen, ist der Arbeitnehmer aus einem in seiner Person liegenden Grund nicht in der Lage, seine Arbeitsleistung ordnungsgemäß anzubieten.

2. Arbeitnehmer können in entsprechender Anwendung von §§ 242, 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB die Entfernung einer zu Unrecht erteilten Abmahnung aus ihrer Personalakte verlangen. Der Anspruch besteht, wenn die Abmahnung inhaltlich unbestimmt ist, unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält, auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens des Arbeitnehmers beruht oder den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt.

 

Normenkette

GG Art. 2; BGB § 615; GewO § 106; BGB § 297; ArbSchG §§ 3-4; SARS-CoV-2 Arbeitsschutzregel v. 10.08.2020; SARS-CoV-2 Arbeitsschutzstandard v. 20.04.2020; BGB §§ 242, 315, 618, 1004 Abs. 1; IfSG § 2 Nr. 2, § 28a; 14. BayIfSMV § 2 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Nürnberg (Entscheidung vom 29.10.2021; Aktenzeichen 6 Ca 454/21)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin gegen das Endurteil des Arbeitsgerichtes Nürnberg vom 29.10.2021 - 6 Ca 454/21 - wird dieses abgeändert.

1. Die Beklagte wird verurteilt, die Abmahnung vom 03.02.2021 aus der Personalakte der Klägerin zu entfernen.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagte zu 1/6 und die Klägerin zu 5/6.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten zuletzt noch um die Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte und Annahmeverzugsansprüche.

Die 1961 geborene Klägerin war seit 03.09.1985 bei der Beklagten als Angestellte im Sozial- und Erziehungsdienst beschäftigt zu im Übrigen den Bedingungen des Arbeitsvertrages vom 02.09.1985 (Bl. 65 der Akte). Danach ist das Arbeitsverhältnis an die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes gebunden. Zuletzt arbeitete sie in Teilzeit mit 30 Stunden pro Woche als Ersatzbetreuung im Fachdienst Kindertagespflege im Jugendamt zu den Bedingungen des Änderungsvertrages vom 14.10.2017 (Bl. 66 der Akte) und bezog in der EG 8, Stufe 6 TV Sozial- und Erziehungsdienst ein Grundgehalt von 2.965,53 € brutto zuzüglich Tarifstrukturausgleich. Als Ersatzbetreuungskraft betreute sie Tagespflegekinder, deren Tagespflegeperson verhindert ist und die deshalb in die Betreuungseinrichtung gebracht werden.

Nach der Aufteilung der Gesamtarbeitsarbeitszeit der Klägerin als pädagogische Fachkraft nach BayKiBiG im Schreiben der Beklagten vom 27.01.2021 (Bl. 70 f. der Akte) umfasst die pädagogische Arbeit am Kind einen Anteil von ca. 70 % der Gesamtarbeitszeit der Klägerin und die Zusammenarbeit mit Eltern, insbesondere durch Tür- und Angelgespräche, einen Anteil von ca. 9 %.

Am 20.04.2020 hatte das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BAMS) den SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandard veröffentlicht. Dieser sah in Ziffer II.4. bereits ein Abstandsgebot von 1,5 m und in Ziffer II.15. das Tragen von Mund-Nase-Bedeckungen bei nicht einhaltbaren Schutzabständen vor.

Nach § 36 Abs. 1 IfSG waren Kindertageseinrichtungen grundsätzlich verpflichtet, in Hygieneplänen innerbetriebliche Verfahrensanweisungen zur Erhaltung der Infektionshygiene festzulegen.

Der Rahmenhygieneplan für die Kindertagesbetreuung des Bay. Landeamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, Stand 06.08.2020 und in Kraft seit 01.09.2020, sah in Ziffer 1.1 ein 3-Stufen-Modell von Zugangs-Hygienemaßnahmen zur Wahrnehmung von Angeboten der Kindertagesbetreuung in Abhängigkeit vom Infektionsgeschehen vor. In Ziffer 1.2 Abs. 4 wird dazu ausgeführt:

Kinder müssen in der Kindertageseinrichtung/Kindertagespflege/HPT keine Mund-Nasen-Bedeckung tragen. Es besteht das Risiko eines unsachgemäßen Umgangs damit. Personal kann in Stufe 1 jederzeit eine geeignete Mund-Nasen-Bedeckung tragen, beispielsweise, wenn das Abstandsgebot (mindestens 1,5 Meter) vorhersehbar und planbar nicht eingehalten werden kann. In Stufe 2 und 3 muss durchgängig eine Mund-Nasen-Bedeckung getragen werden.

Der fortgeschriebene Rahmenhygieneplan Kindertagesbetreuung und HPT mit Stand vom 13.09.2021 sah insoweit ohne Stufenmodell in Ziffer 1.3. vor:

Die Beschäftigten und Trägervertreterinnen und Trägervertreter haben die Pflicht, mindestens eine MNB auf den Begegnungs- und Verkehrsflächen (zum Beispiel Flure, Personalräume) der Arbeitsstätte zu tragen. Auch am Arbeitsplatz ist mindestens eine MNB zu tragen, soweit der Mindestabstand von 1,5 Metern nicht zuverlässig eingehalten werden kann.

Nach Ziffer 4.2.13 SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel der beratenden Arbeitsschutzausschüsse beim BAMS und der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, Stand 10.08.2020 und in Kraft seit 20.08.2020, war zum Schutz der Be...

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