Entscheidungsstichwort (Thema)

Ordentliche betriebsbedingte Kündigung bei Betriebsstilllegung mit versuchtem Interessenausgleich und wirksamer Massenentlassungsanzeige. Einholung einer amtlichen Auskunft bei der zuständigen Agentur für Arbeit über Inhalt und Zeitpunkt der Massenentlassungsanzeige

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bestreitet der Arbeitnehmer, dass die Massenentlassungsanzeige ordnungsgemäß vor Ausspruch der Kündigung erfolgt ist, und behauptet der Arbeitgeber, die Anzeige ordnungsgemäß erstattet zu haben, ist zur Vorbereitung der streitigen Verhandlung die Einholung einer amtlichen Auskunft bei der zuständigen Agentur für Arbeit über Inhalt und Zeitpunkt der Massenentlassungsanzeige nach § 56 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG zulässig und naheliegend.

2. Erklärt der Betriebsrat das Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG vor Ablauf von zwei Wochen nach seiner Unterrichtung für abgeschlossen, steht der Massenentlassungsanzeige das Erfordernis einer rechtzeitigen Unterrichtung nicht entgegen (wie BAG 13.12.2012 - 6 AZR 752/11). Ebenso wie im Verfahren nach § 102 BetrVG kommt es hierbei nicht darauf an, ob dem Betriebsrat bei seiner internen Willensbildung Fehler unterlaufen sind.

3. Unterzeichnen die Betriebsparteien einen Interessenausgleich, dem kein wirksamer Betriebsratsbeschluss zu Grunde liegt, so hat der Arbeitgeber dennoch einen Interessenausgleich versucht im Sinne von § 113 Abs. 3 BetrVG.

 

Normenkette

KSchG §§ 1, 17; BetrVG §§ 102, 111, 113; ArbGG § 56 Abs. 1 Nr. 2; KSchG § 1 Abs. 2 S. 1 Alt. 3, § 17 Abs. 2 Sätze 1-2; BetrVG § 102 Abs. 1, § 111 S. 1, § 112 Abs. 1, § 113 Abs. 3; BGB § 134

 

Verfahrensgang

ArbG Nürnberg (Entscheidung vom 26.03.2014; Aktenzeichen 2 Ca 5976/13)

 

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 26.03.2014 - 2 Ca 5976/13 - wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Rechtswirksamkeit einer ordentlichen betriebsbedingten Arbeitgeberkündigung sowie hilfsweise über die Zahlung eines Nachteilsausgleiches.

Der am 01.06.1962 geborene, verheiratete und für zwei Kinder unterhaltspflichtige Kläger ist seit 01.01.2005 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin als Maschinenführer in der Produktion in Vollzeitzuletzt zu einem monatlichen Bruttoentgelt von 1.826,16 EUR beschäftigt gewesen.

Die Beklagte betrieb einen Postzustellungsdienst. Sie beschäftigte über 250 Arbeitnehmer, ganz überwiegend als Briefzusteller. Bei der Beklagten besteht ein Betriebsrat, dessen Vorsitzender im streitrelevanten Zeitraum Herr K... war.

Der Alleingeschäftsführer und Gesellschafter der Komplementär-GmbH und alleinigen Kommanditistin der Beklagten, Herr M..., fasste am 23.08.2013 den Entschluss, den Geschäftsbetrieb der Beklagten aus wirtschaftlichen Gründen mit Wirkung zum 30.09.2013 vollständig einzustellen und den gesamten Betrieb dauerhaft stillzulegen.

Mit Schreiben vom 29.08.2013, dem Kläger am 30.08.2013 zugegangen, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 30.11.2013, hilfsweise zum darauffolgenden, nächst zulässigen Termin (Blatt 3 der Akten). Auch alle anderen Arbeitsverhältnisse wurden gekündigt. Die Beklagte stellte ihren Betrieb mit Wirkung zum 30.09.2013 ein.

Am 19.09.2013 erhob der Kläger gegen diese Kündigung Kündigungsschutzklage und erweiterte sie mit Schriftsatz vom 28.02.2014 um einen Antrag auf Weiterbeschäftigung sowie hilfsweise um einen Antrag auf Zahlung von Nachteilsausgleich in Höhe von zwölf Monatsgehältern.

Der Kläger hat erstinstanzlich vorgetragen, dass die streitgegenständliche Kündigung rechtsunwirksam sei. Sie sei sozial nicht gerechtfertigt. Dass der Betriebsrat ordnungsgemäß angehört worden sei, werde mit Nichtwissen bestritten. Das nach § 17 KSchG vorgeschriebene Konsultationsverfahren sei ebenso wenig ordnungsgemäß durchgeführt worden, wie die Massenentlassungsanzeige gegenüber der Agentur für Arbeit. Der abgeschlossene Interessenausgleich sei unwirksam, sodass jedenfalls hilfsweise ein Anspruch auf Zahlung eines Nachteilsausgleiches entstanden sei.

Der Kläger hat daher erstinstanzlich beantragt:

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 29.08.2013 nicht aufgelöst wird.

2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis über den 30.11.2013 hinaus zu unveränderten Arbeitsbedingungen fortbesteht.

Für den Fall des Obsiegens mit der Klage vom 19.09.2013 wird beantragt:

Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zur Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung als Produktionsmitarbeiter zu im Übrigen unveränderten Arbeitsbedingungen gemäß dem Arbeitsvertrag vom 31.03.2008 weiterzubeschäftigen.

Für den Fall des Unterliegens mit dem Klageantrag zu Ziffer 1 wird beantragt:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger Nachteilsausgleich in Höhe von 21.913,92 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 01.11.2013 zu bezahlen.

Die Beklagte beantragte e...

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