Entscheidungsstichwort (Thema)

Verbot eines Kurierfahrers zur Belieferung von Kunden einer Auftragsfirma ("Offboarding") als wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung. Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers als Voraussetzung des Annahmeverzugs des Arbeitgebers

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Verbietet eine Auftragsfirma einem Kurierfahrer weitere Fahrten, weil sich Kunden beschwert haben (sogenanntes Offboarding), liegt ein personenbedingtes Leistungshindernis vor, das zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen kann. Allerdings sind an eine fristlose Kündigung strenge Voraussetzungen mit Blick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu stellen, insbesondere dann, wenn die Kündigungsfrist für eine ordentliche Kündigung nur zwei Wochen beträgt.

2. Der Arbeitgeber kommt nach § 297 BGB nicht in Annahmeverzug, wenn der Arbeitnehmer außer Stande ist, die Arbeitsleistung zu erbringen. Fehlt es an einer Einsatzmöglichkeit, weil eine Auftragsfirma den Einsatz eines Kurierfahrers ablehnt, schließt dies die vertragliche Leistungserbringung des Kurierfahrers als solche nicht aus.

 

Normenkette

BGB § § 293 ff., § § 387 ff., §§ 615, 626, 242, 611a

 

Verfahrensgang

ArbG Nürnberg (Entscheidung vom 23.06.2020; Aktenzeichen 14 Ca 146/20)

 

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 23.06.2020, Az. 14 Ca 146/20, abgeändert.

2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 16.12.2019, zugegangen am 20.12.2019, nicht aufgelöst worden ist.

3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 333,33 € brutto sowie 132,- € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 464,33 € seit 25.02.2020 zu zahlen.

4. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

5. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

6. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten im Berufungsverfahren noch über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Arbeitgeberkündigung, um Annahmeverzugslohn sowie Verpflegungszuschüsse.

Der am 11.10.1976 geborene, verheiratete Kläger war seit 12.11.2019 bei der Beklagten als Kurierfahrer mit einer durchschnittlichen monatlichen Bruttovergütung von 2.000,- € beschäftigt. Während der vereinbarten sechsmonatigen Probezeit konnte das Arbeitsverhältnis beiderseits mit einer Frist von zwei Wochen gekündigt werden. Ausweislich des zwischen den Parteien geschlossenen Arbeitsvertrages vom 24.10.2019 (Blatt 5 ff. der Akten) oblag es dem Kläger, vorsortierte Pakete nach einer vorgeplanten Route zuzustellen. Ein Betriebsrat besteht bei der Beklagten nicht.

Die Beklagte übernimmt ausschließlich Aufträge für das Unternehmen A.... Teilte A... der Beklagten mit, dass gegenüber einem Fahrer die "Action" "Offboarding" getroffen ist, so darf der Fahrer jedenfalls für eine gewisse Zeit nicht als Fahrer für A... tätig sein, nach Angaben der Beklagten mindestens mehrere Monate.

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 16.12.2019, dem Kläger am 20.12.2019 zugegangen, außerordentlich und fristlos, hilfsweise ordentlich innerhalb der Probezeit, da die A... Deutschland S4 Transport GmbH (künftig A...) mit E-Mail vom 16.12.2019 (Blatt 54 f. der Akten) für den Kläger ein "Offboarding" wegen zahlreicher Beschwerden von Kunden ("Concessions") verfügt habe. Der Kläger arbeitete noch bis 18.12.2019.

Die Beklagte zahlte die Vergütung bis einschließlich 31.12.2020. Für seine Arbeitstage im November erhielt der Kläger steuerfreien Verpflegungszuschuss in Höhe von 156,- €, für Dezember erhielt er keinen Verpflegungszuschuss (s. Abrechnungen, Blatt 30, 31 der Akten).

Gegen die Kündigung der Beklagten vom 16.12.2019 wandte sich der Kläger mit Kündigungsschutzklage vom 09.01.2020, beim Arbeitsgericht Nürnberg am 10.01.2020 eingegangen und der Beklagten am 15.01.2020 zugestellt. Mit Klageerweiterung vom 19.02.2020, beim Arbeitsgericht Nürnberg am 21.02.2020 eingegangen und der Beklagten am 26.02.2020 zugegangen, machte der Kläger Ansprüche auf Annahmeverzugsvergütung für die Zeit vom 01.01. bis 03.01.2020 in Höhe von 200,- € brutto, Urlaubsabgeltung für zwei Tage in Höhe von 133,33 € brutto sowie Verpflegungszuschuss für 13 Arbeitstage im Dezember in Höhe von jeweils 12,- Euro netto, insgesamt also 156,- € netto, geltend. Mit Schriftsatz vom 17.04.2020 erklärte die Beklagte hilfsweise die Aufrechnung gegen die Zahlungsansprüche des Klägers mit einem Entgeltrückforderungsanspruch für die Zeit vom 21.12.2019 bis 31.12.2019.

Wegen des erstinstanzlichen Vortrags der Parteien sowie der genauen Antragstellung wird auf den Tatbestand im Urteil des Arbeitsgerichts Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 23.06.2020 abgewiesen. Ein wichtiger Grund für die außerordentliche Kündigung liege vor. Dabei könne dahinstehen, ob tatsächlich Empfangsquittungen durch den Kläger unterschrieben und die entsprechenden Pakete nicht beim jeweiligen Kunden abgegeben worden seien. Es genüge bereits...

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