Entscheidungsstichwort (Thema)

Freistellung von den Kosten der Beauftragung eines Sachverständigen. Nachträgliche Genehmigung eines fehlerhaft zustande gekommenen Betriebsratsbeschlusses nach Antragsabweisung wegen fehlender Beschlussfassung bei fehlerhafter Prozessentscheidung infolge unterbliebener Aufforderung zur Ergänzung des Sachvortrags. Unbegründeter Antrag des Gesamtbetriebsrats auf Kostenfreistellung bei fehlender Erforderlichkeit für eine betriebsübergreifende Regelung

 

Leitsatz (amtlich)

Fasst der Gesamtbetriebsrat vor einer Prozessentscheidung des Erstgerichts nicht einen wirksamen Beschluss, mit dem ein Mangel bezüglich der Einleitung des Beschlussverfahrens geheilt wird, ist er damit grundsätzlich ausgeschlossen. Dies gilt nicht, wenn die Entscheidung des Erstgerichts fehlerhaft ist. Fehlerhaft ist die Entscheidung dann, wenn das Erstgericht das rechtliche Gehör nicht gewährt hat.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Das Gericht muss den Betriebsrat aufgrund des im Beschlussverfahren geltenden Untersuchungsgrundsatzes zur Darlegung der Beschlussfassung und zur Vorlage etwaiger schriftlicher Unterlagen wie etwa der Ladung und der Sitzungsniederschrift auffordern; stellt sich heraus, dass die Verfahrenseinleitung nicht ordnungsgemäß erfolgt ist, hat das Gericht den Betriebsrat im Regelfall auf die Möglichkeit einer Heilung des Verfahrensmangels hinzuweisen und ihm gleichzeitig Gelegenheit zu geben, die fehlende Beschlussfassung nachzuholen oder die fehlerhafte Beschlussfassung zu berichtigen.

2. Das Gericht entscheidet nach pflichtgemäßem Ermessen darüber, ob es auf den Mangel hinweist und dem Betriebsrat eine Frist zur ordnungsgemäßen Beschlussfassung setzt; dabei kann es die Erteilung entsprechender Hinweise jedenfalls dann für entbehrlich halten, wenn bereits ein anderer Verfahrensbeteiligter auf den Mangel hingewiesen hat.

3. Ist nach dem Sachvortrag nicht klar, ob die Ladung zur Sitzung des Betriebsrats ordnungsgemäß erfolgt war, und hat auch die Antragsgegnerin einen bestimmten Ladungsmangel nicht behauptet, hat das Gericht die Umstände aufzuklären.

4. Erforderlich im Sinne des § 40 Abs. 1 BetrVG sind nur Kosten, die sich aus der Tätigkeit des Betriebsrats ergeben; das setzt voraus, dass die Kosten durch das Tätigwerden im eigenen Zuständigkeitsbereich verursacht worden sind.

5. Die Ausübung der Mitbestimmungsrechte nach dem Betriebsverfassungsgesetz obliegt grundsätzlich dem von den Beschäftigten unmittelbar gewählten Betriebsrat; dem Gesamtbetriebsrat sind nach § 50 Abs. 1 BetrVG nur solche Angelegenheiten zugewiesen, die das Gesamtunternehmen oder mehrere Betriebe betreffen und für die ein zwingendes Erfordernis für eine betriebsübergreifende Regelung besteht.

 

Normenkette

BetrVG § 29 Abs. 2 S. 6, § 25 Abs. 2, § 40 Abs. 1, § 50 Abs. 1, § 51 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 3, § 80 Abs. 3; ArbGG § 46 Abs. 2 S. 1, § 80 Abs. 2 S. 1, § 83 Abs. 1; ZPO § 139 Abs. 1 S. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Würzburg (Entscheidung vom 30.06.2016; Aktenzeichen 8 BV 36/15)

 

Tenor

1. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Würzburg vom 30.06.2016 wird zurückgewiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten um die Freistellung von Sachverständigenkosten und Rechtsanwaltshonorar.

Der Antragsteller ist der Gesamtbetriebsrat der Antragsgegnerin. Der Vorsitzende des Antragstellers ist Herr S....

Die Antragsgegnerin betreibt in R..., G..., M..., Sa..., Sch..., B... und H... Handelslager, in denen jeweils ein örtlicher Betriebsrat gebildet ist.

Für die örtlichen Betriebsräte sind jeweils zwei Betriebsratsmitglieder in den Gesamtbetriebsrat entsandt. Sie vertreten insgesamt 2.478 Stimmen.

In den verschiedenen Standorten existierten Collibetriebsvereinbarungen, die mit den örtlichen Betriebsräten abgeschlossen waren.

Die Beteiligten verhandelten ab Ende Juli 2010 über eine Gesamtbetriebsvereinbarung zum Thema "Prämienlohn".

Mit Schreiben vom 24.09.2010 (Bl. 60 d.A.) informierten die Prozessvertreter des Antragstellers den Prozessvertreter der Antragsgegnerin darüber, dass sie der "Gesamtbetriebsrat sowie die örtlichen Betriebsräte G... und H... mit der Wahrnehmung ihrer rechtlichen Angelegenheiten und insbesondere mit der Beratung und Vertretung der Ausarbeitung einer Rahmenvereinbarung bzw. örtlicher Betriebsvereinbarungen beauftragt" habe. In dem Schreiben heißt es:

Wir dürfen gleichwohl um Bestätigung bitten, dass die hier anfallenden anwaltlichen Gebühren von Ihrer Mandantschaft übernommen werden. Wie üblich sollte hier eine Vereinbarung auf Basis eines Stundenhonorars in Höhe von € 250,00 zzgl. MwSt. pro Aufwandsstunde erfolgen.

In zwei weiteren Schreiben vom 11.10.2010 und 20.10.2010 an den Prozessvertreter der Antragsgegnerin wiesen die Prozessvertreter des Antragstellers darauf hin, dass sie noch keine Bestätigung der Kostenübernahme erhalten hätten, und baten um eine Bestätigung. Eine Reaktion der Antragsgegnerin erfolgte nicht.

Unter dem 06.12.2010 baten die Prozessvertreter des Ant...

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