Rechtsmittel eingelegt unter dem Aktenzeichen: 8 AZR 418/09

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitnehmerhaftung. gröbste Fahrlässigkeit. betriebliche Veranlassung. Missverhältnis von Arbeitsentgelt und Schadenshöhe. Zu den Voraussetzungen der Arbeitnehmerhaftung für gröbste Fahrlässigkeit und zur Haftungsminderung bei Missverhältnis von Arbeitsentgelt und Sachen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei grober Fahrlässigkeit hat der Arbeitnehmer in aller Regel den gesamten Schaden zu ersetzen. Eine Haftungsteilung kommt aber in Betracht, wenn der Verdienst in deutlichem Missverhältnis zum Schadensrisiko der Tätigkeit steht.

2. Der Abschluss einer freiwilligen privaten Haftpflichtversicherung durch den Arbeitnehmer bleibt ohne Auswirkung auf die Haftung.

 

Normenkette

BGB §§ 611, 823, 280 Abs. 1, §§ 613a, 276 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Celle (Urteil vom 15.07.2008; Aktenzeichen 1 Ca 178/08)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 28.10.2010; Aktenzeichen 8 AZR 418/09)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Arbeitsgerichts Celle vom 15. Juli 2008 – 1 Ca 178/08 – unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger als Mitgläubiger über den zuerkannten Betrag hinaus weitere 1.920,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29. Mai 2006 zu zahlen.

2. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Kläger 23/25, die Beklagte 2/25 zu tragen. Von den Kosten der Nebenintervention haben die Kläger 23/25, die Nebenintervenientin 2/25 zu tragen.

Hiervon ausgenommen sind die Kosten der durch die Anrufung des Landgerichts Lüneburg angefallenen Kosten einschließlich der hierdurch entstandenen Kosten der Nebenintervention. Diese haben die Kläger zu tragen.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um Ersatz wegen der Beschädigung eines Diagnosegerätes.

Die Kläger sind Ärzte und betreiben eine fachübergreifende Gemeinschaftspraxis. Die Beklagte ist bei ihnen seit vielen Jahren als Reinigungskraft beschäftigt; ihr monatliches Bruttoentgelt beträgt derzeit 320,00 Euro. Die auf Seiten der Beklagten als Streithelferin beigetretene Nebenintervenientin ist ein Versicherungsunternehmen, bei dem die Beklagte eine Privathaftpflichtversicherung abgeschlossen hat.

Die Beklagte besuchte an einem für sie arbeitsfreien Sonntag eine Freundin, die ebenfalls für die Kläger arbeitet und in deren Praxisgebäude wohnt; weitere Personen hielten sich an diesem Tage nicht im Gebäude auf. Die Beklagte hörte einen Signalton, der von dem Magnetresonanztomografen in der Arztpraxis ausging, und begab sich zu der an einer Wand in der Praxis angebrachten Steuereinheit des Gerätes. An der Steuereinheit befinden sich fünf Knöpfe, nämlich vier kleinere blaue mit den Bezeichnungen „host standby”, „alarm silence”, „system off” und „system on”. Über diesen Knöpfen befindet sich ein größerer roter Knopf mit der weißen Aufschrift „magnet stop”. In der Absicht, den Alarmton auszuschalten, drückte die Beklagte statt des hierfür vorgesehenen Knopfs „alarm silence” den roten Knopf. Dies führte entsprechend der Bestimmung dieses Schalters dazu, dass das in dem Magnetresonanztomografen als Kühlmittel befindliche Helium entwich und das im Gerät vorhandene elektromagnetische Feld zusammenbrach. Die Reparaturkosten betragen 30.843,01 Euro netto. Das Gerät konnte drei Tage lang nicht genutzt werden.

Die Kläger haben vorgetragen, der von der Beklagten gedrückte rote Knopf sei durch einen Plexiglasschutz besonders gesichert gewesen. Dieser sei wiederum mit zwei Klebestreifen überklebt worden, auf welchen sich folgende Aufschrift befunden habe: „Bei Alarm alarm silence drücken. Nicht Mag Stop. Es wird teuer.” Wegen dieser überobligationsmäßigen Sicherung und weil die Beklagte in den Praxisräumen weder etwas zu suchen gehabt habe noch befugt gewesen sei, einen der Knöpfe zu betätigen, stelle sich ihr Handeln als gröbst fahrlässig dar. Sie sei daher verpflichtet, den entstandenen Schaden in voller Höhe zu tragen. Aufgrund ihrer bei der Nebenintervenientin abgeschlossenen Haftpflichtversicherung sei hierdurch eine Existenzgefährdung nicht zu besorgen. Andererseits stehe die von den Klägern selbst abgeschlossene Versicherung nur für den Nutzungsausfall eines Tages ein, so dass die Beklagte für den entgangenen Gewinn zweier weiterer Tage hafte. Dies seien 18.390,00 Euro netto. Weil die Praxis ganzjährig voll ausgelastet sei, könnten die durch den Schaden ausgefallenen Termine nicht nachgeholt werden. Das gelte auch für die 74 Patienten, die für die drei Ausfalltage angemeldet gewesen seien. Zu ersetzen seien für zwei Ausfalltage der tägliche Rohgewinn von je 7.215,00 Euro und die weiterlaufenden täglichen Fixkosten von je 1.980,00 Euro.

Die Kläger haben beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger als Mitgläubiger 50.615,81 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23. März 2006 zu zahlen.

Beklagte und Nebenintervenientin haben beantragt,

die Klag...

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