Entscheidungsstichwort (Thema)

Unzulässige Klageerweiterung in der Berufungsinstanz. Kostenentscheidung nach übereinstimmender Erledigungserklärung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine subjektive Klageänderung in Form einer Klageerweiterung um einen weiteren Beklagten ist in der Berufungsinstanz in der Regel nicht möglich. Eine Ausnahme besteht nur dann, wenn der neue Beklagte zustimmt oder seine Zustimmung rechtsmissbräuchlich verweigert.

2. Die Verweigerung der Zustimmung ist rechtsmissbräuchlich, wenn ein schutzwürdiges Interesse der neuen Beklagten an der Verweigerung der Zustimmung nicht zu erkennen und ihr nach der gesamten Sachlage zuzumuten ist, in den bereits im Berufungsrechtszug schwebenden Rechtsstreit einzutreten.

3. Dem Insolvenzverwalter steht nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit ein insolvenzspezifisches Freistellungsrecht eines Arbeitnehmers zu, für den der Beschäftigungsbedarf entfallen ist. Dieses Freistellungsrecht besteht dabei nur, wenn und soweit der Insolvenzverwalter gleichzeitig alles tut, um das Arbeitsverhältnis des freigestellten Arbeitnehmers zu beenden, und wenn er unverzüglich die Kündigung des Arbeitnehmers zum frühestmöglichen Zeitpunkt betreibt.

4. Das insolvenzspezifische Freistellungsrecht des Insolvenzverwalters besteht bei reduziertem Beschäftigungsbedarf zur Schonung der Masse. Der Insolvenzverwalter ist bei seiner Freistellungsentscheidung jedoch nicht frei von rechtlichen Schranken, sondern muss sich an die Grenzen des billigen Ermessens gemäß § 315 BGB halten. Bei der Ausübung des billigen Ermessens können auch soziale Gesichtspunkte eine Rolle spielen.

5. Die erkennende Kammer ist der Auffassung, dass eine besondere Eilbedürftigkeit hinsichtlich eines Anspruchs auf Beschäftigung grundsätzlich anzuerkennen ist, da der Anspruch infolge von Zeitablauf für jeden Tag untergeht. An den Erlass einer solchen Befriedungsverfügung sind jedoch strenge Anforderungen zu stellen.

 

Normenkette

ZPO §§ 529, 533, 91a

 

Verfahrensgang

ArbG Hannover (Entscheidung vom 24.06.2015; Aktenzeichen 13 Ga 5/15)

 

Tenor

Die Berufung des Verfügungsklägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 24.06.2015, 13 Ga 91515, wird zurückgewiesen.

Der Verfügungskläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Gegen dieses Urteil ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens, nachdem der Rechtsstreit von dem Verfügungskläger (künftig: Kläger) und dem Verfügungsbeklagten zu 1 (künftig: Beklagter zu 1) erledigt worden ist, darüber, ob die Klageerweiterung auf die Verfügungsbeklagte zu 2 (künftig: Beklagte zu 2) im Berufungsverfahren zulässig ist.

Der am 0.0.1975 geborene und einem Schwerbehinderten gleichgestellte Kläger ist seit dem 01.11.2013 als Gebrauchtwagenverkäufer bei der Firma Autohauses S. in dem Betrieb in F beschäftigt. Dem Arbeitsverhältnis liegt der Arbeitsvertrag vom 29.10.2013 zugrunde, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird (Bl. 8-11 d.A.). Ausweislich der Lohn-/Gehaltsabrechnung für Dezember 2014 (Bl. 12 d.A.) bezog der Kläger im Jahr 2014 eine durchschnittliche Monatsvergütung von 4.084,71 € brutto.

Am 28.04.2015 wurde über das Vermögen der Arbeitgeberin das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zu 1 zum Insolvenzverwalter bestellt (Bl. 14-16 d.A.). Der Beklagte zu 1 zeigte am 28.04.2015 Masseunzulänglichkeit an.

Die Arbeitgeberin unterhielt 4 Betriebe in G, F, H und I. Die beiden Betriebe in H und I sollen geschlossen werden. Der Beklagte zu 1 kündigte deshalb Ende April 2015 mehreren Arbeitnehmern.

Mit Schreiben vom 29.04.2015 beantragte der Beklagte zu 1 die Zustimmung des Integrationsamtes zur beabsichtigten Kündigung des Klägers. Über den Antrag wurde bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht nicht entschieden.

Ebenfalls unter dem 29.04.2015 (Bl. 19 d.A.) stellte der Beklagte zu 1 den Kläger unwiderruflich ab 01.05.2015 von der Arbeitsleistung frei.

Am 04.05.2015 (Bl. 20 d.A.) machte der Kläger seinen Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung geltend.

Mit einer Pressemitteilung vom 07.05.2015 (Bl. 67-68 d.A.) informierte der Beklagte zu 1 darüber, dass die Beklagte zu 2 mit Wirkung zum 15.07.2015 die Standorte F und G betreiben wird, und dass 63 der zuletzt 135 Arbeitsplätze erhalten bleiben.

Der Beklagte zu 1 führte den Geschäftsbetrieb bis zum 15.07.2015 fort. Er beschäftigte den Neuwagenverkäufer M. S. weiter. Dieser ist wie der Kläger ledig und ohne Kinder. Er ist mit ca. 45 Jahren älter als der Kläger, seine Betriebszugehörigkeit ist um ein Jahr kürzer als die des Klägers (Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz trat am 01.05.2015 ein).

Am 28.05.2015 beantragte der Kläger den Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen den Beklagten zu 1 auf tatsächliche Beschäftigung.

Das Arbeitsgericht hat durch ein dem Kläger am 03.07.2015 zugestelltes Urteil vom 24.06.2015, auf dessen Inhalt zur weiteren Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes und dessen Würdigun...

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