Entscheidungsstichwort (Thema)

Verhaltensbedingte Kündigung bei Verstoß gegen Infektionsschutzmaßnahmen. Fürsorgepflicht des Arbeitgebers im Zusammenhang mit dem Infektionsschutzgeschehen SARS-CoV-2. Anforderungen an ein Attest zur Befreiung von der Maskenpflicht im Arbeitsverhältnis. Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein Verstoß gegen die betrieblich wirksam angeordnete Pflicht zum Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung zum Schutz vor einer Infektion mit dem Coronavirus (SARS-CoV-2) ist grundsätzlich geeignet, eine ordentliche verhaltensbedingte Kündigung zu rechtfertigen. Ob die Kündigung im Einzelfall gerechtfertigt ist hängt von den jeweiligen Begleitumständen ab, insbesondere dem Grad des Verschuldens, Häufigkeit, Dauer und Folgen des Pflichtenverstoßes, einer bestehenden Wiederholungsgefahr etc..

2. Es bleibt unentschieden, ob die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte zu den Anforderungen an ein Attest zur Befreiung von der Maskenpflicht in der Schule (etwa OVG Lüneburg 05.05.2021 2 ME 75/21, Rn. 10, juris; OVG Nordrhein-Westfalen 07.10.2020 13 B 1370/20, Rn. 7, juris) im Arbeitsverhältnis uneingeschränkt herangezogen werden kann. Mindestvoraussetzung eines Attests ist jedenfalls dessen Nachvollziehbarkeit (im Streitfall verneint).

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Infolge von SARS-CoV-2-Infektionen kann es zu schweren und tödlichen Krankheitsverläufen kommen. Deshalb muss der Arbeitgeber seine Mitarbeiter bei der Ausübung ihrer betrieblichen Tätigkeit vor solchen gesundheitlichen Gefahren schützen, insbesondere, wenn diese aufgrund der betriebsräumlichen Verhältnisse begünstigt werden können. Es ist Teil seines Direktionsrechts, das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes anzuordnen.

2. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses kann ein Anspruch auf Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte nach §§ 242, 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB nur dann bestehen, wenn es objektive Anhaltspunkte dafür gibt, dass diese dem Arbeitnehmer noch schaden kann.

 

Normenkette

BGB § 241 Abs. 2, § 618 Abs. 1; KSchG § 1 Abs. 2 S. 1; BGB §§ 242, 1004 Abs. 1 S. 1; ZPO § 138 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Lingen (Entscheidung vom 19.03.2021; Aktenzeichen 1 Ca 467/20)

 

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Lingen vom 19.03.2021 (1 Ca 467/20) wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung sowie die Entfernung zweier Abmahnungen aus der Personalakte des Klägers.

Der am 00.00.1985 geborene, verheiratete und 2 Kindern unterhaltsverpflichtete Kläger trat Anfang 2019 als vollzeitbeschäftigter Lagermitarbeiter/Fachkraft für Lagerlogistik in die Dienste der Beklagten, die mit regelmäßig mehr als 10 Arbeitnehmern Windkraftanlagen herstellt.

Anfang 2020 kam es zu einem globalen Infektionsgeschehen aufgrund des neuartigen Coronavirus (SARS-CoV-2), das die Atemwegserkrankung Covid19 auslöst. Im Anschluss an den ersten sogen. Lockdown im Frühjahr 2020 teilte die Beklagte in Abstimmung mit dem Betriebsrat ihren Mitarbeitern einschließlich des Klägers, per E-Mail vom 06.05.2020 (Bl. 78 ff. d.A.) u.a. Folgendes mit:

"Maskenpflicht" an unseren Standorten und Büros

An unseren Standorten und Büros muss ab sofort ein Mund-Nasen-Schutz getragen werden (...). Die Maske ist immer beim Betreten und Verlassen des Standortes zu tragen. Während der Arbeit bzw. des Aufenthalts auf dem Gelände und im Gebäude darf sie immer dann abgenommen werden, wenn dauerhaft der Mindestabstand von 1,5-2 m eingehalten werden kann und mit einer plötzlichen Unterschreitung der Distanzregel von 1,5-2 m nicht zu rechnen ist.

(...)

Es ist auch möglich, dass ihr selbst gefertigte Baumwollmasken als Ersatz für den Mund-Nasen-Schutz verwendet. Das Tragen von Schals, Stofftüchern etc. reicht dagegen nicht aus.

(...)"

Die erforderlichen Masken stellte die Beklagte den Beschäftigten in ausreichender Menge zur Verfügung.

Am Tag der Bekanntmachung befolgte der Kläger die Maskenregelung nicht, worauf ihn der Arbeitssicherheitsbeauftragte G. sowie sein Vorgesetzter K. zur Einhaltung der Regeln und zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes aufforderten.

Die Beklagte stellte dem Kläger in der Folgezeit auch ein sogen. Face-Shield (Foto Bl. 98 d. A.), ein Gesichtsvisier aus Plexiglas, als Alternative zu einer Mund-Nase-Bedeckung zur Verfügung.

Am 16.07.2020 betrat der Kläger die Räumlichkeiten am Standort S-Stadt ohne Mund-Nasen-Bedeckung. In der ihm deswegen am 20.07.2020 überreichten Abmahnung vom 17.07.2020 (Bl. 80 f. d.A.) heißt es unter anderem:

".. Am 16.07.2020 haben Sie erneut das GE-Gebäude ohne die vorgeschriebene Mund-Nasen-Bedeckung betreten. Zwei Mitarbeiter haben beobachtet, wie Sie das Gebäude ohne Maske betraten und informierten daraufhin EHS Koordinator G., welcher Sie daraufhin erneut darauf hinwies, dass Sie verpflichtet sind, innerhalb des Gebäudes einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen. Da Sie sich weigerten, suchte auch Ihr V...

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