Entscheidungsstichwort (Thema)

Unverhältnismäßige Höhe einer Streikbruchprämie bei um ein Vielfaches höherer Vergütung eines Arbeitstages

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Zusage einer Streikbruchprämie vor oder während des Arbeitskampfes stellt ein grundsätzlich zulässiges Arbeitskampfmittel dar.

2. Die Zusage einer Streikbruchprämie von 200,00 € pro Tag ist unverhältnismäßig und damit rechtswidrig, wenn dieser Betrag fast das Vierfache des normalen Lohnes eines vollbeschäftigten Arbeitnehmers übersteigt. Die Zusage einer Streikbruchprämie von 100,00 € ist demgegenüber nicht zu beanstanden.

3. Die während des Arbeitskampfs in arbeitskampfrechtlich zulässiger Weise ausgelobte Prämie für die Nichtteilnahme am Streik stellt keine Maßregelung im Sinne des § 612 a BGB dar.

4. Aus einer rechtswidrigen Gesamtzusage kann ein Anspruch eines einzelnen Arbeitnehmers nach § 612 a BGB in Verbindung mit dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz nicht erwachsen. Denn es gibt keinen Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht.

5. Die Teilnahme an einer innerbetrieblcihen Schulung steht einem Anspruch auf eine ausgelobte Streikbruchprämie grundsätzlich nicht entgegen.

6. Ein Anspruch eines Betriebsratsmitglieds auf eine Streikbruchprämie bei einer Teilnahme an einer innerbetribelichen Schulung an einem Streiktag besteht jedoch nach dem Lohnausfallprinzip nicht, wenn das Betriebsratsmitglied ohne die Schulung an dem Streik teilgenommen hätte.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Eine während des Arbeitskampfs in arbeitskampfrechtlich zulässiger Weise im Wege der Gesamtzusage ausgelobte Prämie für die Nichtteilnahme am Streik stellt keine Maßregelung im Sinne des § 612a BGB dar; der bestreikten Arbeitgeberin ist es grundsätzlich erlaubt, einem Streik dadurch zu begegnen, dass sie durch organisatorische oder sonstige Maßnahmen die Auswirkungen des Streiks auf ihren Betrieb zu mindern versucht.

2. Eine für zwei Arbeitstage zugesagte Streikbruchprämie in Höhe von 200 Euro ist der Höhe nach unverhältnismäßig und daher rechtswidrig, wenn ein vollbeschäftigter Arbeitnehmer damit bei Verzicht auf die Teilnahme am Streik eine um ein Vielfaches höhere Vergütung für diese Tage erhält.

 

Normenkette

BGB § 612a; GG Art. 9 Abs. 3; BGB §§ 133, 157, 151, 242, 611a

 

Verfahrensgang

ArbG Braunschweig (Entscheidung vom 02.06.2016; Aktenzeichen 6 Ca 529/15)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 14.08.2018; Aktenzeichen 1 AZR 287/17)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 02.06.2016, 6 Ca 529/15, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger ein Anspruch auf eine Streikbruchprämie für insgesamt 10 Tage zusteht.

Der am 0.0.1971 geborene Kläger ist seit 2004 bei der Beklagten beschäftigt und bezieht eine monatliche Bruttovergütung von 1.480,00 € bei einem Stundenlohn von 8,70 €. Er wird in dem Markt der Beklagten in A. eingesetzt. Er ist der dort gewählte Betriebsobmann und zudem Ersatzmitglied des Personalausschusses des Gesamtbetriebsrats. In dem Betrieb in A. werden 20 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigt.

Die Beklagte ist nicht tarifgebunden. Die Gewerkschaft B. forderte die Beklagte mit Schreiben vom 19.02.2015 und 30.07.2015 zu Tarifverhandlungen über den Abschluss eines Anerkennungstarifvertrages auf. Hierzu war die Beklagte nicht bereit. Die Gewerkschaft B. kündigte deshalb Streikmaßnahmen u.a. für den 15.10.2015 und 16.10.2015 an.

Noch vor Beginn des Streiks sagte die Beklagte in dem Betrieb in A. durch einen Aushang folgenden Inhaltes eine Streikbruchprämie zu (Bl. 5 d.A.):

STREIKBRUCHPRÄMIE

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

wir erwarten, dass die Gewerkschaft B. in unserem Markt zum Streik aufrufen wird.

Sollte es in unserem Markt tatsächlich zu einem Streik an einem oder mehreren Tagen kommen und die Verkaufsfähigkeit des Marktes erheblich gefährdet sein, hat T. entschieden, allen arbeitswilligen Mitarbeitern und Auszubildenden, die bei einem Streik ihrer regulären Tätigkeit nachgehen und nicht streiken, eine Prämie in Höhe von

200,00 Euro brutto je Streiktag (Vollzeit)

(Teilzeit wird stundenanteilig berechnet)

auszuzahlen.

Ihr Marktleiter wird dokumentieren, dass Sie anstelle des Streiks gearbeitet haben und meldet dies an die Personalabteilung. Die Streikbruchprämie wird dann im Rahmen der nächsten monatlichen Gehaltsabrechnung ausgezahlt. (...)"

Der Kläger nahm am 15.10.2015 an dem Streik teil.

Am 16.10.2015 streikte er nicht. Vielmehr nahm er als Vertreter des erkrankten Vorsitzenden des Personalausschusses auf der Basis von § 5 der Gesamtbetriebsvereinbarung C. vom 23.07.2015 (Bl. 50-55 d.A.) an einer internen Schulung in der Zentrale der Beklagten in B. zum Umgang mit dem bei der Beklagten verwendeten Zeiterfassungsprogramms teil. Die Beklagte gewährte dem Kläger für diesen Tag die reguläre Vergütung. Die im Streit stehende Streikbruchprämie zahlte sie weder für den 15.10.2015 noch für den 16.10.2015.

Anfang November 2015 veröffentlichte die Beklagte ...

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