Entscheidungsstichwort (Thema)

dynamische Verweisungsklausel. Gleichstellungsabrede. Altfall. Vertragsauslegung. Tarifsukzession. Auslegung einer vertraglichen Bezugnahmeklausel

 

Leitsatz (amtlich)

Die vertragliche Bezugnahme auf die Tarifverträge für die Arbeiter der Deutschen Bundespost ist im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung so zu verstehen, dass sie alle Tarifverträge in Bezug nimmt, die funktionsgleich an die Stelle des ausdrücklich angeführten Tarifvertrages getreten sind. Dies gilt jedenfalls solange, wie es sich um Tarifverträge handelt, die als eine Fortentwicklung des ursprünglich bei der Deutschen Bundespost geschaffenen Tarifgefüges angesehen werden können.

 

Normenkette

BGB §§ 133, 157; TVG § 3 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Hannover (Urteil vom 07.10.2008; Aktenzeichen 10 Ca 84/08)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 06.07.2011; Aktenzeichen 4 AZR 705/09)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom7. Oktober 2008, 10 Ca 84/08, abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob auf das Arbeitsverhältnis die Tarifverträge der D. AG oder die von der Beklagten mit Wirkung zum 1. Juli 2007 abgeschlossenen Tarifverträge Anwendung finden.

Der am 00.00.1951 geborene Kläger, der nicht Mitglied einer Gewerkschaft ist, begründete mit Wirkung zum 1. Juni 1970 ein Arbeitsverhältnis mit der B.. Der weiterhin maßgebliche Arbeitsvertrag vom 1. Juni 1970 (Bl. 7 d. A.) enthält u. a. folgende Regelung:

Die Bestimmungen des Tarifvertrages für die Arbeiter der B. gelten in ihrer jeweiligen Fassung als unmittelbar zwischen den Vertragsparteien vereinbart.

Die B. wurde im Jahr 1990 durch die Postreform I in drei öffentliche Unternehmen aufgeteilt. Im Jahre 1995 erfolgte eine Privatisierung dieser Unternehmen. Das Arbeitsverhältnis des Klägers wurde dabei durch das Postpersonalrechtsgesetz auf die D. AG übergeleitet.

§ 21 Postpersonalrechtsgesetz bestimmt u. a.:

Die in dem früheren Unternehmen der B. im Zeitpunkt der Eintragung in das Handelsregister geltenden Tarifverträge für die Angestellten, Arbeiter und Auszubildenden gelten bis zum Abschluss neuer Tarifverträge weiter.

Mit Wirkung zum 1. Juli 2001 wurde der Tarifvertrag für die Arbeiter der B. (TV Arb) aufgehoben. Auf das Arbeitsverhältnis des Klägers wurden in der Folgezeit die für die D. AG abgeschlossenen Tarifverträge einvernehmlich angewandt.

Die D. AG gründete im Jahr 2007 drei S.-Gesellschaften als 100-prozentige konzernangehörige Tochtergesellschaften. Zum 25. Juni 2007 wechselten entsprechend ca. 30.000 Arbeitnehmer sowie ca. 24.400 Beamte zu diesen Tochtergesellschaften.

Die Beklagte übernahm den Servicebereich für den technischen Kundendienst und führte die Arbeitsverhältnisse mit den in diesem Bereich beschäftigten Arbeitnehmern, darunter das des Klägers, fort. Der Kläger widersprach dem Betriebsübergang nicht.

Die Beklagte schloss am 24. Juni 2007 mit der Gewerkschaft ver.di Firmentarifverträge ab, die sie seit dem 1. Juli 2007 auf das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger anwendet. Diese Tarifverträge sehen im Verhältnis zu den Tarifverträgen der D. AG u. a. eine Erhöhung der wöchentlichen Arbeitszeit von 34 auf 38 Stunden sowie eine zeitlich gestaffelte Absenkung des Entgelts um 6,5 % vor. Die Laufzeit des Verzichts auf betriebsbedingte Kündigungen wurde bis Dezember 2012 verlängert.

Das Arbeitsgericht hat durch ein den Parteien am 21. Oktober 2008 zugestelltes Urteil vom 7. Oktober 2008, auf dessen Inhalt zur weiteren Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes und dessen Würdigung durch das Arbeitsgericht Bezug genommen wird (Bl. 200 – 207 d.A.), festgestellt, dass auf das Arbeitsverhältnis des Klägers zur Beklagten die Tarifverträge der D. AG, Tarifstand 24. Juni 2007, anzuwenden sind.

Hiergegen richtet sich die am 7. November 2008 eingelegte und nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 21. Januar 2009 am 20. Januar 2009 begründete Berufung der Beklagten.

Die Beklagte ist der Auffassung, für die erhobene Feststellungsklage fehle es an dem erforderlichen Feststellungsinteresse. Der Kläger hätte die einzelnen Regelungskomplexe, die auf sein Arbeitsverhältnis Anwendung finden sollten, konkret in seinem Antrag benennen müssen.

Im Übrigen fänden auf das Arbeitsverhältnis nunmehr die von ihr mit Wirkung zum 1. Juli 2007 abgeschlossenen Firmentarifverträge Anwendung, die als zeitlich und fachlich speziellere Firmentarifverträge die Tarifverträge der D. AG abgelöst hätten.

Im Verhältnis des TV Arb zu den Firmentarifverträgen der D. AG sowie zu den Firmentarifverträgen der Beklagten liege ein Fall der Tarifsukzession vor. Mit der Privatisierung und Aufgliederung der B. in eigenständige Teilegesellschaften sei der TV Arb durch funktionsgleiche Firmentarifverträge der Nachfolgegesellschaften ersetzt worden. Dieser tarifvertragliche Zergliederungsprozess habe sich in strukturell gleicher Weise durch die...

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