Entscheidungsstichwort (Thema)

Nachträgliche Erhöhung der Zahl der Wahlvorstandsmitglieder. Gerichtliche Überprüfung der Erforderlichkeit einer Erhöhung der Zahl der Wahlvorstandsmitglieder. Keine befristete Erhöhung der Zahl der Wahlvorstandsmitglieder. Fehlerhafte Beschlussfassung des Wahlvorstands über die Ordnungsmäßigkeit der schriftlich abgegebenen Stimmen als Anfechtungsgrund

 

Leitsatz (amtlich)

1. § 16 Abs. 1Satz 2 BetrVG erlaubt dem Betriebsrat unter Beachtung von S. 3 ohne Festlegung einer Höchstgrenze auch eine nachträgliche Erhöhung der Zahl der Wahlvorstandsmitglieder, wenn dies zur ordnungsgemäßen Durchführung der Wahl erforderlich ist. Die Erforderlichkeit ist als unbestimmter Rechtsbegriff gerichtlich nachprüfbar, wobei insbesondere die betrieblichen Verhältnisse (Größe des Betriebes; Schichtsystem) und die nach § 12 Abs. 2 WO, vorgeschriebene Mindestzahl an Wahlvorstandsmitgliedern im Wahlraum zu berücksichtigen sind.

2. Auch unter Berücksichtigung eines Wahlzeitraums von 6 Tagen, der Einrichtung von 13, teilweise täglich und durchgehend geöffneten Wahllokalen, des Fehlens einer gesetzlichen Höchstgrenze für die Zahl der Wahlvorstandsmitglieder sowie unter Zubilligung eines Beurteilungsspielraums war eine nachträgliche Erhöhung der Zahl der Wahlvorstandsmitglieder von 7 auf 113 durch den Betriebsrat im Streitfall u.a. deshalb nicht erforderlich, weil der Wahlvorstand zuvor bereits von der Möglichkeit gemäß § 1 Abs. 2 WO Gebrauch gemacht hatte, 113 Wahlhelfer für die Besetzung der Wahllokale zu bestellen und damit gem. § 12 Abs. 2 WO grundsätzlich je Wahllokal bereits die Anwesenheit eines stimmberechtigten Wahlvorstandsmitglieds und eines Wahlhelfers genügte.

3. § 16 Abs. 1 S. 2 BetrVG kann nicht dahin ausgelegt werden, dass er eine von vorneherein lediglich befristete Erhöhung der Zahl der Wahlvorstandsmitglieder für den Zeitraum der Stimmabgabe erlaubt.

4. Nach Abschluss der Stimmabgabe hat der Wahlvorstand im verfahren nach § 26 WO über die Ordnungsgemäßigkeit der schriftlich abgegebenen Stimmen (§ 25 WO) durch Beschluss mit einfacher Stimmenmehrheit (§ 1 Abs. 3 S 1 WO) zu entscheiden. Es war im Streitfall nicht auszuschließen, dass diese Entscheidungen in anderer Größe und personeller Zusammensetzung des Wahlvorstandes anders ausgefallen wären und sich auf das Wahlergebnis ausgewirkt hätten.

 

Normenkette

BetrVG § 16 Abs. 1 S. 2, § 19 Abs. 1, 2 S. 2; WO § 1 Abs. 2, § 12 Abs. 2, § 26 Abs. 1 S. 2, § 1 Abs. 3 S. 1, § 25

 

Verfahrensgang

ArbG Braunschweig (Entscheidung vom 26.09.2018; Aktenzeichen 1 BV 8/18)

 

Tenor

1. Die Beschwerden des Beteiligten zu 5 und der Beteiligten zu 6 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 26.09.2018 (1 BV 8/18) werden zurückgewiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit einer Betriebsratswahl.

Die vier Antragsteller sind Arbeitnehmer der Beteiligten zu 6, die mehr als 6.000 Mitarbeiter in unterschiedlichen Schichtsystemen beschäftigt.

Der Beteiligte zu 5 ist der bei der Beteiligten zu 6 Anfang März 2018 gewählte Betriebsrat.

Zur Durchführung der Betriebsratswahl 2018 setzte der Beteiligte zu 5 in seiner damaligen Besetzung mit Beschluss vom 27.11.2017 einen siebenköpfigen Wahlvorstand ein. Laut Wahlausschreiben (Anlage 1, Bl. 30 f. d. A.) war die Wahl an 6 aufeinanderfolgenden Tagen in insgesamt 13 Wahllokalen vorgesehen, von denen 6 durchgehend, 4 täglich und 2 an vier Tagen jeweils zeitweise und 1 weiteres an drei Tagen zeitweise geöffnet sein sollte.

Am 23.02.2018 fasste der Wahlvorstand einen Beschluss über die Heranziehung von 113 Wahlhelfern für die Besetzung der Wahllokale und 66 Wahlhelfern für die Stimmauszählung (Anlagen B 4 und 5, Bl. 92 ff., 96 d. A.).

Zudem fasste der der Beteiligte zu 5 am 26.02.2018 einen Beschluss über die Bestellung von 106 weiteren, namentlich benannten Wahlvorstandsmitgliedern. In dem Protokoll dieser Sitzung (Anlage B1, Bl. 78 ff. d. A.) heißt es unter Ziff. 8.:

"Koll. C. erläutert den Hintergrund der o.g. Angelegenheit. Es stellt die Angelegenheit vor und erläutert die Bestellung weiterer Wahlvorstandsmitglieder anhand der Vorlage.

Der BA empfiehlt einstimmig der Bestellung weiterer Wahlvorstandsmitglieder nach § 16 (1) BetrVG gemäß vorliegender Vorlage zuzustimmen.

Der BR beschließt einstimmig der Bestellung weiterer Wahlvorstandsmitglieder nach § 16 (1) BetrVG gemäß vorliegender Vorlage zuzustimmen."

Als Anlage zu diesem Protokoll existiert eine Namensliste mit der Überschrift "Erweiterte Wahlvorstandsmitglieder für den Wahlzeitraum".

Die vorgesehenen Einsatzzeiten der Wahlvorstandsmitglieder und Wahlhelfer im Zeitraum der Stimmabgabe sind aus einer Besetzungsliste (Anl. B6, Bl. 97 - 123 d. A.) ersichtlich.

In der Zeit vom 01.03.2018, 08:00 Uhr bis zum 06.03.2018, 15:00 Uhr fand die Stimmabgabe statt. Es gab eine gültige Vorschlagsliste, aus der vom jeweiligen Wähler bis zu 33 Wahlbewerber ausgewählt werden konnten.

Die Öffnung der eingegangenen Freiumschläge aus der schr...

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