Entscheidungsstichwort (Thema)

Anfechtung eines Spruchs der tariflichen Schlichtungsstelle. Nachwirkungen von teils erzwingbaren. teils freiwilligen Regelungen

 

Leitsatz (amtlich)

1) Aus § 30 GMTV für die Beschäftigten der Nds. Metallindustrie iVm § 76 Abs. 8 BetrVG ergibt sich auch eine Zuständigkeit der tariflichen Schlichtungsstelle für Regelungen, die nur außertarifliche Angestellte betreffen. § 30 GMTV ist eine Rechtsnorm eines Tarifvertrages überbetriebsverfassungsrechtliche Fragen. Er enthält eine Globalverweisung.

2) Bezieht sich der Spruch einer Einigungs-/tariflichen Schlichtungsstelle auf einen Regelungsgegenstand, der sich auf erzwingbares Mitbestimmungsrecht bezieht, wirkt er bereits aufgrund gesetzlicher Bestimmung nach. Enthält der Spruch eine entsprechende Regelung, hat diese nur deklaratorische Wirkung.

 

Normenkette

BetrVG § 76 Abs. 8; TVG §§ 1, 3; GMTV für die Beschäftigten der Nds. Metallindustrie § 30

 

Verfahrensgang

ArbG Hameln (Beschluss vom 16.06.2008; Aktenzeichen 2 BV 8/07)

 

Nachgehend

BAG (Beschluss vom 14.09.2010; Aktenzeichen 1 ABR 30/09)

 

Tenor

1) Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Hameln vom 16.06.2008 – 2 BV 8/07 – wird zurückgewiesen.

2) Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Tatbestand

I.

Die Beteiligten streiten um die Wirksamkeit eines Spruchs der tariflichen Schlichtungsstelle vom 15. Mai 2007, mit dem Grundsätze zum Einsatz von Zielvereinbarungen und zur Gewährung einer leistungs- und erfolgsorientierten Vergütungskomponente für außertarifliche Arbeitnehmer auf der Grundlage von getroffenen Zielvereinbarungen festgelegt werden.

Der Beteiligte zu 1) ist der im Betrieb der Beteiligten zu 2) gewählte Betriebsrat. Die Beteiligte zu 2) beschäftigt in ihrem Betrieb ca. 900 Arbeitnehmer, davon 32 außertarifliche Führungskräfte.

Auf Veranlassung der Beteiligten zu 2) trat die gemäß § 30 des gemeinsamen Manteltarifvertrages für die Beschäftigten in der niedersächsischen Metallindustrie (im Folgenden GMTV) zwischen den Tarifvertragsparteien eingerichtete tarifliche Schlichtungsstelle zusammen, um entsprechende Grundsätze zu regeln. Sie tagte in vier Sitzungen. Am 15. Mai 2007 legte sie durch Abstimmung mit drei Ja- und zwei Nein-Stimmen Grundsätze zum Einsatz von Zielvereinbarungen und zur Gewährung einer leistungs- und erfolgsorientierten Vergütungskomponente für außertarifliche Arbeitnehmer fest. Wegen des genauen Inhalts der beschlossenen Regelung wird auf Bl. 12 bis 26 d. A Bezug genommen. Gemäß ihrem § 1 b gilt die Regelung „für alle außertariflichen Mitarbeiter/innen im Angestelltenbereich mit Ausnahme der leitenden Angestellten”. Für die quantitativen und qualitativen Leistungsziele wird ein Zielkatalog festgelegt (Bl. 40/41 d. A). § 11 lautet:

„Diese Vereinbarung tritt mit Unterzeichnung in Kraft. Sie kann mit einer Frist von 12 Monaten zum Jahresende gekündigt werden. Sie wirkt, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt wird. Einzelne Bestimmungen dieser Vereinbarung können im Einvernehmen zwischen Betriebsrat und Geschäftsführung geändert werden, ohne dass es einer Kündigung bedarf.”

Durch am 29. Mai 2007 beim Arbeitsgericht eingegangenen Antrag hat der Beteiligte zu 1) den Spruch angefochten.

Er hat die Auffassung vertreten, der Spruch sei unwirksam. Die tarifliche Schlichtungsstelle sei nicht zuständig gewesen, weil sie keine Spruchkompetenz für außertarifliche Angestellte habe. Die Nachwirkung könne nicht durch Spruch der tariflichen Schlichtungsstelle konstituiert werden, weil danach zu unterscheiden sei, ob der Regelungsgegenstand ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht oder eine freiwillige Betriebsvereinbarung umfasse. Eine Nachwirkung könne nur von den Betriebsparteien, nicht durch Spruch der Schlichtungsstelle vereinbart werden. Die tarifliche Schlichtungsstelle habe in unzulässiger Weise ihr Ermessen überschritten. In der Regelung fehlten tatsächliche Grenzen der Zielvereinbarung. Es sei im Ergebnis vom individuellen Verhandlungsgeschick abhängig, in welcher Höhe der Einzelne am Unternehmenserfolg teilnehme. Die Schlichtungsstelle hätte ein Mindestmaß an Regelungen treffen müssen. In der Verknüpfung der Zielvereinbarung als Bedingung für die Beteiligung am Unternehmenserfolg und der individuell ausgehandelten Entgelterhöhung liege eine Ermessensüberschreitung. Die jeweilige Zielvereinbarung und die daraus resultierende Entgelterhöhung unterlägen hinsichtlich der Verteilungs- und Entgeltgerechtigkeit nicht der Kontrolle des Betriebsrates. Der Spruch enthalte unzulässigerweise keine Regelung zu der Beurteilung, wann ein Ziel erreicht sei. Die formale Freiwilligkeit der Arbeitnehmer beseitige nicht das Mitbestimmungsrecht des Beteiligten zu 1). Es bestehe die Gefahr, dass die Beteiligte zu 2) jedes beliebige Ziel zum Gegenstand einer Zielvereinbarung machen könne, da der im Spruch definierte Zielfindungsprozess nicht beschränkt sei.

Der Beteiligte zu 1) hat beantragt,

festzustellen, dass der Spruch der tariflichen Schlichtungsstelle vom 15. Mai...

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