Entscheidungsstichwort (Thema)

Altersteilzeitantrag. zur Ausübung billigen Ermessens im Rahmen des § 2 Abs. 1 des Tarifvertrages zur Regelung der Altersteilzeitarbeit der Tarifgemeinschaft der Deutschen Rentenversicherung. Änderung der Bewilligungspraxis mit sofortiger Wirkung und arbeitsrechtlicher Gleichbehandlungsgrundsatz

 

Leitsatz (redaktionell)

1. § 2 Abs. 1 TV ATZ-TgRV räumt dem Arbeitnehmer keinen Anspruch auf Abschluss eines Änderungsvertrags ein. Die Tarifvertragsparteien haben die Entscheidung über die verlangte Vertragsänderung in das Ermessen des Arbeitgebers gestellt. Ob die Entscheidung der Billigkeit entspricht, unterliegt der vollen gerichtlichen Kontrolle, § 315 Abs. 3 S. 2 BGB.

2. Der Gleichbehandlungsgrundsatz gebietet dem Arbeitgeber, Arbeitnehmer oder Gruppen von Arbeitnehmern, die sich in vergleichbarer Lage befinden, bei Anwendung seiner selbst gegebenen Regelung gleich zu behandeln. Der Gleichbehandlungsgrundsatz wird inhaltlich durch den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG bestimmt. Bei freiwilligen Leistungen muss der Arbeitgeber die Leistungsvoraussetzungen so abgrenzen, dass Arbeitnehmer nicht aus sachfremden oder willkürlichen Gründen ausgeschlossen werden. Verstößt der Arbeitgeber bei der Gewährung freiwilliger Leistungen gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, hat der benachteiligte Arbeitnehmer Anspruch auf die vorenthaltene Leistung.

3. Änderungen der Regeln von Altersteilzeit und Stichtagsregelungen sind grundsätzlich zulässig. Allein die Tatsache, dass ein Arbeitgeber die bisherige Handhabung generell für die Zukunft aufhebt, ist ein sachliches Differenzierungsmerkmal. So sind Stichtagsregelungen als „Typisierung in der Zeit” ungeachtet der damit verbundenen Härten zur Abgrenzung des begünstigten Personenkreises zulässig.

 

Normenkette

TV ATZ-TgRV § 2 Abs. 1; BGB §§ 611, 315 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Regensburg (Urteil vom 09.09.2010; Aktenzeichen 8 Ca 984/09)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 14.05.2013; Aktenzeichen 9 AZR 664/11)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Endurteil des Arbeitsgerichts Regensburg vom 09.09.2010 – Az. 8 Ca 984/09 – wird abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Revision wird für die Klägerin zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, mit der Klägerin ein Altersteilzeitarbeitsverhältnis einzugehen.

Die Klägerin ist am 19.09.1952 geboren. Aufgrund Arbeitsvertrages vom 27.01.1993 (Bl. 14. f. d. A.) ist sie seit 01.06.1993 bei der Beklagten im Orthopädie-Zentrum C-Stadt, einem Eigenbetrieb der Beklagten, als Küchenhilfe beschäftigt. Ihr monatlicher Bruttolohn belief sich zuletzt auf EUR 2.387,56. Die Klägerin hat einen Grad der Behinderung von 30; eine Gleichstellung mit schwerbehinderten Menschen liegt nicht vor.

Auf das Arbeitsverhältnis findet der Tarifvertrag zur Regelung der Altersteilzeitarbeit der Tarifgemeinschaft der F. (TV ATZ-TgRV) Anwendung.

Der TV ATZ-TgRV regelt (auszugsweise) folgendes:

§ 2 Voraussetzungen der Altersteilzeit

(1) Der Arbeitgeber kann mit Arbeitnehmern, die

  1. das 55. Lebensjahr vollendet haben,
  2. eine Beschäftigungszeit (z. B. § 19 BAT/BAT-TgRV-O) von fünf Jahren vollendet haben und
  3. innerhalb der letzten fünf Jahre vor Beginn der Altersteilzeit mindestens 1.080 Kalendertage in einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch gestanden haben,

die Änderung des Arbeitsverhältnisses in ein Altersteilzeitarbeitsverhältnis auf der Grundlage des Altersteilzeitgesetzes vereinbaren; das Altersteilzeitarbeitsverhältnis muss ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis im Sinne des Dritten Buches Sozialgesetzbuch sein.

(2) Arbeitnehmer, die das 60. Lebensjahr vollendet haben und die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 1 erfüllen, haben Anspruch auf Vereinbarung eines Altersteilzeitarbeitsverhältnisses. Der Arbeitnehmer hat den Arbeitgeber drei Monate vor dem geplanten Beginn des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses über die Geltendmachung des Anspruchs zu informieren; von dem Fristerfordernis kann einvernehmlich abgewichen werden.

(3) Der Arbeitgeber kann die Vereinbarung eines Altersteilzeitarbeitsverhältnisses ablehnen, soweit dringende dienstliche bzw. betriebliche Gründe entgegenstehen.

(4) Das Altersteilzeitarbeitsverhältnis soll mindestens für die Dauer von zwei Jahren vereinbart werden. Es muss vor dem 01. Januar 2010 beginnen.”

Die Beklagte bewilligte in den letzten neun Jahren vor der Antragstellung der Klägerin alle von Mitarbeitern des Orthopädie-Zentrums gestellten Anträge, zuletzt zwei Anträge aus den Monaten Mai und Juni.

Mit Schreiben vom 10.10.2008 teilte die Beklagte den kaufmännischen Direktoren ihrer Eigenbetriebe unter anderem folgendes mit:

„…

Da derzeit bei den Verwaltungen und Kliniken der E. vermehrt Anfragen und Anträge über Altersteilzeit von den Bediensteten gestellt werden, besteht für Sie im Einzelnen gewisser Handlungsbedarf. In Abstimmung mit der Abteilung Kliniken wurde folgende Vorgehensweise festgelegt:

  1. Nach § 2 Abs...

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