Entscheidungsstichwort (Thema)

Ausnahme vom Schriftformerfordernis bei Änderung eines Aufhebungsvertrags. Berufung auf Schriftformerfordernis als Verstoß gegen Treu und Glauben. Anfechtung einer Willenserklärung wegen arglistiger Täuschung. Tarifliche Verfallsklausel und Nachteilsausgleich

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Nach § 623 Abs. 1 BGB bedarf die Beendigung von Arbeitsverhältnissen durch Kündigung oder Aufhebungsvertrag zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform, da diese die größte Rechtssicherheit gewährleistet. Dies gilt grundsätzlich auch für spätere Änderungen oder Ergänzungen. Ausnahmsweise kann die nachträgliche Änderung eines formgültig geschlossenen Aufhebungsvertrags ohne Verstoß gegen den Formzwang zulässig sein. Dies gilt, wenn die nachträgliche Änderung nur der Beseitigung einer bei der Abwicklung des Geschäfts unvorhergesehen aufgetretenen Schwierigkeit dient, ohne die beiderseitigen Verpflichtungen wesentlich zu ändern.

2. Eine arglistige Täuschung durch Unterlassen kann vorliegen, wenn bei Vertragsverhandlungen ein Umstand verschwiegen wird, hinsichtlich dessen den einen Vertragspartner gegenüber dem anderen Vertragspartner eine Hinweis- und Aufklärungspflicht trifft. Eine solche Hinweis- und Aufklärungspflicht des Arbeitgebers über noch nicht abgeschlossene Sozialplaninhalte besteht jedoch nicht, wenn bei Abschluss des Aufhebungstarifvertrags noch nicht absehbar ist, ob der Arbeitnehmer dem Sozialplan unterfallen und durch ein Ausscheiden aufgrund des Sozialplans eine Besserstellung erfahren würde.

3. Nachteilsausgleichsansprüche i.S.d. § 113 Abs. 3 BetrVG sind "Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis" im Sinn einer tariflichen Verfallklausel. Denn es handelt sich bei dem Nachteilsausgleichsanspruch um einen gesetzlichen Anspruch, der seine Grundlage im Arbeitsverhältnis hat.

 

Normenkette

BGB § 123 Abs. 1, §§ 242, 623 Abs. 1; BetrVG §§ 112, 113 Abs. 1, 3; MTV für das private Versicherungsgewerbe § 24

 

Verfahrensgang

ArbG München (Entscheidung vom 23.01.2020; Aktenzeichen 12 Ca 4721/19)

 

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 23.01.2020 - 12 Ca 4721/19 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Zahlung einer Sozialplanabfindung und hilfsweise über einen Nachteilsausgleich.

Der am 00.00.0000 geborene Kläger war seit dem 01.01.2004 bei der Z. bzw. ihrer Rechtsvorgängerin als angestellter Außendienstmitarbeiter auf der Grundlage des Arbeitsvertrags mit Y. vom 19.12.2003 beschäftigt, für dessen Inhalt auf Anlage B18 (Bl. 244 ff. d. A.) verwiesen wird. Im Arbeitsvertrag heißt es u.a.:

"3. Vertragsgrundlagen"

Auf Ihr Arbeitsverhältnis finden die für uns geltenden Tarifverträge, Betriebsvereinbarungen und - soweit durch diesen Vertrag nicht anders vereinbart - unsere internen Richtlinien in den jeweils gültigen Fassungen Anwendung.

Der Manteltarifvertrag für das private Versicherungsgewerbe regelt in § 24 den "Verfall von Ansprüchen" wie folgt:

Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis - ausgenommen solche aufgrund deliktischer Handlungen - verfallen, soweit sie nicht spätestens innerhalb von 6 Monaten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses schriftlich geltend gemacht werden.

Hierunter fallen nicht Ansprüche des Arbeitgebers aus der Einkommensregelung mit den Angestellten des Außendienstes, insbesondere aus einer Provisionsvereinbarung. Entsprechende Ansprüche der Angestellten müssen jedoch innerhalb einer Frist von 12 Monaten wenigstens dem Grunde nach schriftlich geltend gemacht werden."

Die Z. strebte im Jahr 2016 eine Änderung ihrer Vertriebsstruktur an und vereinbarte mit dem bei ihr tarifvertraglich für den Konzern gebildeten (vgl. Anlage BG2, Bl. 336 ff. d. A.) "gemeinsamen Betriebsrat" am 11.08.2016 eine "Eckpunkte- und erste Duldungsvereinbarung zum Projekt Agentur der Zukunft" (künftig: Eckpunktevereinbarung, vgl. unbenannte Anlage, Bl. 209 ff. d. A.). Ihre Ziffer II. (2.) lautet:

"Alle Mitarbeiter, die sich am 01.07.2016 in einem ungekündigten und unbefristeten Anstellungsverhältnis im verkaufenden Außendienst der X. befinden, erhalten das Angebot, freiwillig in ein freies Handelsvertreterverhältnis gemäß § 84 HGB bei der X. zu wechseln. Die Konditionen, zu denen den Mitarbeitern eine Beendigung ihres Anstellungsverhältnisses angeboten werden wird, werden zwischen den Parteien im abzuschließenden Sozialplan festgelegt."

Am 08.12./12.12.2016 wurde zwischen der Z. und ihrem Gesamtbetriebsrat der "Sozialplan zum Projekt Agentur der Zukunft" (vgl. Anlage BG3, Bl. 217 ff. d. A.) vereinbart, der nach seiner Präambel Regelungen zum Ausgleich der Nachteile enthält, die sich aus der Umsetzung der geplanten Maßnahmen ergeben oder ergeben können. Teil B Ziff. I. 1. und 2. des Sozialplans regelt das Wechselangebot in ein freies Handelsvertreterverhältnis frühestens ab 01.04.2017 und das Angebot auf Abschluss eines unterschriftsreifen Aufhebungsvertrags; Teil B Ziff. II. 1. die Voraussetzungen der Zahlung eine...

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