Entscheidungsstichwort (Thema)

Abbruch einer Betriebsratswahl nur im Falle ihrer zu erwartenden Nichtigkeit. Nichtigkeit einer Betriebsratswahl. Geordnetes Wahlverfahren bei Verwendung falscher Verfahrensregeln. Summierung mehrerer Fehler bei der Betriebsratswahl

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein Abbruch der Wahl kommt nur in Betracht, wenn - bei summarischer Prüfung - die Nichtigkeit der Wahl im Falle der weiteren Durchführung des Wahlverfahrens zu erwarten ist (Anschluss an BAG 27.07.2011, 7 ABR 61/10 und LAG München 23.04.2018, 6 TaBVGa 5/18).

2. Wird in einem Kleinbetrieb das gem. § 14 a Abs. 1 BetrVG zwingend vorgeschriebene vereinfachte Wahlverfahren nicht durchgeführt, hat das keine Nichtigkeit der Wahl zu Folge, sondern lediglich deren Anfechtbarkeit. Die Verwendung der falschen Verfahrensregeln verstößt nicht offensichtlich gegen die allgemeinen Grundsätze jeder ordnungsgemäßen Wahl (Anschluss an BAG 13.03.2013, 7 ABR 70/11).

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Nichtigkeit einer Betriebsratswahl ist nur in besonderen Ausnahmefällen anzunehmen, in denen gegen allgemeine Grundsätze jeder ordnungsgemäßen Wahl in so hohem Maße verstoßen worden ist, dass auch der Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Wahl nicht mehr vorliegt. Es muss demnach sowohl ein offensichtlicher als auch ein besonders grober Verstoß gegen Wahlvorschriften vorliegen.

2. Sind im Zuge der Betriebsratswahl mehrere Fehler begangen worden, die jeder für sich genommen zwar die Anfechtung der Betriebsratswahl rechtfertigen, nicht aber die Wahl als nichtig erkennen lassen, so kann weder die addierte Summe der Fehler noch eine Gesamtwürdigung zur Nichtigkeit führen.

 

Normenkette

BetrVG §§ 14a, 19; WO § 6 Abs. 1, § 28 Abs. 1 S. 2

 

Verfahrensgang

ArbG München (Entscheidung vom 19.05.2022; Aktenzeichen 36 BVGa 20/22)

 

Tenor

Der Beschluss des Arbeitsgerichts München vom 19.05.2022, Az.: 36 BVGa 20/22 wird abgeändert:

Der Antrag der Arbeitgeberin auf Abbruch der Betriebsratswahl wird zurückgewiesen.

 

Gründe

I.

Die Parteien streiten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes um den Abbruch der für Freitag, den 20.5.2022 zwischen 12:00 bis 15:00 Uhr vorgesehenen Betriebsratswahl.

Die inhabergeführte Antragstellerin (Arbeitgeberin) betreibt ein Einzelhandelsgeschäft und beschäftigt insgesamt 26 wahlberechtigte Arbeitnehmer. Der Antragsgegner ist der auf der Wahlversammlung vom 13.4.2022 gewählte dreiköpfige Wahlvorstand. Im Betrieb der Antragstellerin besteht bislang kein Betriebsrat.

Nachdem die Arbeitgeberin nach wiederholter Aufforderung und Fristverlängerung mit Schreiben vom 4.5.2022 die Daten zur Erstellung der Wählerliste zur Verfügung gestellt hat, gab der Wahlvorstand aufgrund seines Beschlusses vom 9.5.2022 durch Aushang im Betrieb der Antragstellerin am selben Tag mittels Wahlausschreiben bekannt, dass die Betriebsratswahl auf einer Wahlversammlung am Freitag dem 20.5.2022 von 12:00 Uhr bis 15:00 Uhr in der Betriebsstätte stattfinden wird. Das Wahlausschreiben setzte für die Einreichung von Wahlvorschlägen unter Hinweis darauf, dass nur fristgerecht eingereichte Wahlvorschläge berücksichtigt werden können, eine Frist für den 12.5.2022 um 14:00 Uhr und informierte zudem u.a. über Wahlberechtigung und Wählbarkeit, sowie die Möglichkeit von Briefwahl.

Am frühen Nachmittag des 12.5.2022 übergab die Mitarbeiterin F. einem Wahlvorstandsmitglied zwei schriftliche Wahlvorschläge mit jeweils zwei Stützunterschriften betreffend ihrer eigenen Person und ihres Kollegen K. (nach eigenen Angaben von Frau F. um 13:00 Uhr und nach Angaben des Wahlvorstands um 13:35 Uhr). Der Wahlvorstand zog sich daraufhin in einen Büroraum des Betriebes zur Prüfung der Wahlvorschläge zurück und teilte der Mitarbeiterin F. jedenfalls nach 14:00 Uhr (nach eigenen Angaben von Frau F. um 15:30 Uhr und nach Angaben des Wahlvorstands um 14:30 Uhr). schriftlich mit, dass die Wahlvorschläge ungültig seien, weil sie nicht von den Wahlbewerbern unterschrieben waren. Frau F. warf sodann am Vormittag des 13.5.2022 einen nunmehr unterzeichneten Wahlvorschlag jeweils für sich und ihren Kollegen K. in den Briefkasten des Wahlvorstandes ein. Der Antragsgegner teilte ihr mit, dass er um 11:30 Uhr die eingereichten Wahlvorschläge geprüft und festgestellt habe, dass diese wegen nicht fristgerechter Einreichung unheilbar ungültig seien.

Mit ihrem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung hat die Arbeitgeberin geltend gemacht, die laufende Betriebsratswahl müsse abgebrochen werden, weil die weitere Durchführung nichtig sei. Die vom Wahlvorstand gesetzten Fristen für die Einreichung von Wahlvorschlägen seien zu kurz und offensichtlich deshalb so gewählt worden, dass nur wohlgesonnene Kollegen und Kolleginnen zur Wahl zugelassen würden. So sei diesem bekannt gewesen, dass der eine Wahlbewerber bis einschließlich 11.5.2022 im Urlaub und die Wahlbewerberin F. erst ab 11.5.2022, 14:00 Uhr wieder im Betrieb anwesend war. Die fehlenden Unterschriften hätten zudem unschwer vor Fristablauf von den Wahlbewerbern nachgeho...

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