Entscheidungsstichwort (Thema)

Unwirksame Betriebsratswahl bei alleiniger Anwesenheit eines Wahlvorstandsmitglieds im Wahlraum und unterlassener Kennzeichnung der Wählenden vor ihrer Stimmabgabe

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Umstände, dass sich nur ein Wahlvorstandsmitglied allein während der nahezu gesamten Dauer des Wahlvorgangs im Wahlraum aufhält, dass dieser während ca. der ersten beiden Stunden die bereits erschienenen Wähler vor Stimmabgabe nicht in der Wählerliste vermerkt, sondern diese erst später aus dem Gedächtnis nachträgt und der Umstand, dass 66 gültige Stimmen abgegeben, aber nur 63 Wähler vermerkt worden waren, begründen jeweils einen erheblichen Verstoß gegen zwingende Wahlvorschriften (§ 12 Abs. 2, 3 WahlO) weswegen die Betriebsratswahl, wenn auch nicht nichtig, so doch jedenfalls unwirksam ist. Auch bei einem an sich klaren Ergebnis der Stimmabgabe ist angesichts der Verstöße nicht auszuschließen, dass das Wahlergebnis durch diese beeinflusst worden war.

2. Fehler bei der Bildung des Wahlvorstandes begründen regelmäßig keine Anfechtbarkeit der nachfolgend durchgeführten Betriebsratwahl.

 

Normenkette

BetrVG § 19; WahlO BetrVG § 12 Abs. 2; WahlO BetrVG § 12 Abs. 3; BetrVG § 19 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG München (Entscheidung vom 08.09.2016; Aktenzeichen 38 BV 123/16)

 

Tenor

I. Die Beschwerde des Betriebsrats (Beteiligter zu 5) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts München vom 08.09.2016 wird zurückgewiesen.

II. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten um die Anfechtung der Betriebsratswahl vom 25. Feb. 2016.

Die Beteiligte zu 4 (nachfolgend: Arbeitgeberin) ist ein Großhandelsunternehmen für Lebensmittel und beschäftigt 89 Mitarbeiter. Die Sprache im Unternehmen ist deutsch. In dieser Sprache erfolgen auch Mitteilungen, wenn auch gelegentlich bebildert.

Am 10. Dez. 2015 wurden auf einer Betriebsversammlung die Arbeitnehmer N., J., L., P. und E. zu Wahlvorständen für eine Betriebsratswahl gewählt. Am 4. Jan. 2016 haben diese die Wahl eingeleitet. Zur Wahl standen Vorschlagsliste 1 (Kennwort: Zusammen sind wir stark), Vorschlagsliste 2 (Kennwort: Sozial gerecht) und Vorschlagsliste (Johnny be good). Der Wahlvorstandsvorsitzende N. kandidierte auf Liste 2. Eine nicht genau feststehende Zahl von Mitarbeitern, mindestens 10, hatten von ihm als Wahlvorstandsvorsitzendem Briefwahlunterlagen erhalten, denen das Wahlausschreiben nicht beigelegen hatte, sondern als Anlage Wahlwerbung für die Liste 2 und eine handschriftliche Mitteilung des Listenführers K. mit der Bitte um Rückruf enthielt.

Die Wahl fand am 25. Feb. 2016 von 7.30 Uhr bis 20.00 Uhr statt. Im Wahlraum lag Wahlwerbung für die Vorschlagsliste 2 aus. Die Wählerliste war nicht sichtbar. Der Wahlvorstandsvorsitzende N. hatte diese morgens - nach eigenen Angaben aus Platzmangel - mit dem Wahlausschreiben überklebt. Die Wählerliste war zudem nicht auf dem neuesten Stand. Die am 1. Feb. 2016 neu eingetretene Arbeitnehmerin L. war nicht verzeichnet, hatte aber ihre Stimme abgegeben.

Während des Wahltages hatte sich Herr N. bis ca. 17.00 Uhr weitgehend allein im Wahlraum befunden. In den ersten Stunden hatte er die Arbeitnehmer, die gewählt hatten, nicht auf der Wählerliste erfasst, worauf ihn nach seinen Angaben Frau P. ca. 9.00 Uhr bis 9.30 Uhr hingewiesen hatte. Er hatte dann aus dem Gedächtnis und durch Nachfrage bei anderen Kollegen die Personen, die bereits gewählt hatten, nachgetragen. Die anderen Wähler waren dann sofort auf der Wählerliste vermerkt worden, ohne dass der Wahlvorstandsvorsitzende hätte angeben können, ob Frau L. in seiner Anwesenheit gewählt hatte.

Am 4. März 2016 gab der Wahlvorstand das Wahlergebnis bekannt und fertigte am 11. März 2016 die Wahlniederschrift. Bei Bekanntgabe des Wahlergebnisses waren 66 gültig abgegebene Stimmen, davon 9 per Briefwahl, festgestellt worden. Davon seien 43 Stimmen auf Vorschlagsliste 2 und 23 Stimmen auf Vorschlagsliste 1 entfallen. Vorschlagsliste 3 habe 0 Stimmen erhalten. Damit seien 3 Sitze im Betriebsrat auf Liste 2, und 2 Sitze auf Liste 1 entfallen. Weiter enthält die Wahlniederschrift den Vermerk, nach der Wählerliste seien 63 Stimmen abgegeben worden. Drei Stimmen habe man nachgetragen.

Mit ihrem am 18. März 2016 per Telefax beim Arbeitsgericht eingegangenen Antrag vom 16. März 2016 hat die Arbeitgeberin die Betriebsratswahl angefochten. Mit weiterem am 18. März 2016 per Telefax beim Arbeitsgericht München eingegangenen Antrag vom selben Tag haben die Beteiligten zu 1 bis 3 die Betriebsratswahl ebenso angefochten.

Mit Beschluss vom 6. Apr. 2016 hat das Arbeitsgericht München die beiden Verfahren zu gemeinschaftlicher Verhandlung und Entscheidung verbunden.

Die Antragsteller haben die Nichtigkeit der Wahl geltend gemacht. Bereits die Wahl des Wahlvorstandes sei vollkommen rechtswidrig und undemokratisch gelaufen und habe an so großen Mängeln gelitten, dass diese auf die Betriebsratswahl durchschlügen. Äußerungen Herrn P. hätten zu Tumulten und einer Spaltung der Bele...

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