Entscheidungsstichwort (Thema)

Kirchenrechtsweg für Streit um Aussetzung einer Abmahnung gegenüber einer schwerbehinderten Mitarbeiterin im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder

 

Leitsatz (amtlich)

Keine Zuständigkeit der weltlichen Arbeitsgerichte bei Rechtsstreitigkeiten der Schwerbehindertenvertretung eines kirchlichen Krankenhauses.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Gemäß Art. 140 GG mit Art. 137 Abs. 3 WRV ordnet und verwaltet jede Religionsgesellschaft ihre Angelegenheiten selbstständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes; den Religionsgemeinschaften ist infolge dieser verfassungsrechtlichen Sonderstellung der Kirchen das Recht gewährleistet, mitarbeitervertretungsrechtliche Fragen eigenständig zu regeln und somit selbst darüber zu bestimmen, ob und in welcher Weise die Beschäftigten und ihre Vertretungsorgane in Angelegenheiten des Betriebes, die ihre Interessen berühren, mitwirken und mitbestimmen.

2. Regelungen über die Mitbestimmung gehören dabei zum Organisationsrecht, das der Selbstgestaltungsmacht der Kirchen unterliegt; im Rahmen dieses Selbstordnungs- und Selbstverwaltungsrechts haben die Religionsgemeinschaften nicht nur die Befugnis zur eigenständigen Rechtsetzung und Verwaltung im Bereich der eigenen Angelegenheiten sondern auch die Kompetenz zur selbstständigen Kontrolle des selbst gesetzten Rechts durch die kircheneigenen Gerichte.

3. Die Schwerbehindertenvertretung ist eine Vertretung der Beschäftigten, die wie der Betriebsrat oder der Personalrat Interessen einer bestimmten Gruppe, nämlich der schwerbehinderten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wahrzunehmen und insoweit Mitwirkungs- und Beteiligungsrechte hat; begehrt die Arbeitnehmerin in einer kirchlichen Einrichtung die Aussetzung der Erteilung einer Abmahnung und geht es dabei auch um die Streitfrage der Beachtung von Beteiligungsrechten der Schwerbehindertenvertretung, handelt es sich insoweit nicht um ein für alle geltendes Recht im Sinne des Art. 137 Abs. 3 WRV, denn das Beteiligungsrecht nach den §§ 84 und 95 SGB IX sowie § 52 Abs. 2 MAVO dient dazu, dass die Schwerbehindertenvertretung infolge der darin vorgesehenen Informations-, Erörterungs- und Anhörungsrechte in die Lage versetzt wird, ihre Aufgaben wirksam wahrzunehmen.

4. Eine ausdrückliche Rechtswegzuweisung durch den Gesetzgeber fehlt; sie ergibt sich aber mittelbar aus den Regelungen der Art. 140 GG und 137 Abs. 3 WRV, wonach entscheidend ist, welcher Natur das Rechtsverhältnis ist, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird.

5. Bei der Abgrenzung nach dem jeweiligen Streitgegenstand und dem zugrundeliegenden Sachverhalt kommt es entscheiden darauf an, ob der zur Begründung vorgetragene Sachverhalt von Rechtsätzen des Arbeits- oder solchen des Kirchenrechts geprägt ist und damit arbeits- oder kirchenrechtlichen Charakter hat.

6. Fälle, in denen es ausschließlich um Fragen der Mitarbeitervertretung geht, sind den kirchlichen Arbeitsgerichten vorbehalten; die staatlichen Gerichte sind insoweit nicht zuständig.

 

Normenkette

ArbGG § 2; GG Art. 140; MAVO § 52 Abs. 5, § 52; SGB IX § 95 Abs. 2, § 84 Abs. 1, §§ 84, 95; KAGO § 2 Abs. 2; WRV Art. 137 Abs. 3

 

Verfahrensgang

ArbG München (Entscheidung vom 25.01.2012; Aktenzeichen 4 BV 381/11)

 

Tenor

1. Die Beschwerde der Beklagten zu 1) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts München (Az.: 4 BV 381/11) vom 25.01.2012 wird zurückgewiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Gründe

I. Die Beteiligten streiten über die Aussetzung einer bereits erteilten Abmahnung gegenüber einer schwerbehinderten Mitarbeiterin, über die Feststellung, inwieweit die Beteiligte zu 2) gegen Beteiligungsrechte der Beteiligten zu 1) im Zusammenhang mit der Erteilung der Abmahnung verstoßen hat sowie über die Feststellung der Kostentragungspflicht für die anwaltliche Vertretung der Beteiligten zu 1).

Die Beteiligte zu 2) ist ein kirchlicher Arbeitgeber, der das Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in A-Stadt betreibt. Die Beteiligte zu 1) ist die bei der Beteiligten zu 2) gebildete Schwerbehindertenvertretung.

Bei der Beteiligten zu 2) gilt die Mitarbeitervertretungsordnung des Caritas-Verbandes für die Erzdiözese in A-Stadt (MAVO), in deren § 52 die Mitwirkung der Vertrauensperson der schwerbehinderten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geregelt ist. § 52 Abs. 2 MAVO beinhaltet folgende Regelung:

"Der Dienstgeber hat die Vertrauensperson der schwerbehinderten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in allen Angelegenheiten, die einen einzelnen oder die schwerbehinderten Menschen als Gruppe berühren, unverzüglich und umfassend zu unterrichten und vor einer Entscheidung anzuhören; er hat ihr die getroffene Entscheidung unverzüglich mitzuteilen. Ist dies bei einem Beschluss der Mitarbeitervertretung nicht geschehen oder erachtet die Vertrauensperson der schwerbehinderten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einen Beschluss der Mitarbeitervertretung als eine erhebliche Beeinträchtigung wichtiger Interessen schwerbehinderter Menschen, wird auf ihren Antrag der Beschluss für d...

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