Entscheidungsstichwort (Thema)

Erstreckung einer Verfallklausel auf vorsätzliches Handeln eines Verrichtungs- oder Erfüllungsgehilfen. Anwendbarkeit des § 167 ZPO auf die erste Stufe einer zweistufigen Verfallklausel

 

Leitsatz (amtlich)

Eine arbeitsvertragliche Verfallklausel, die die Haftung wegen vorsätzlichen Handelns ausschließen soll, ist nach §§ 134, 202 Abs. 1 BGB insoweit nichtig, als sie sich auf eigenes Verhalten des Arbeitgebers bezieht. Sie ist wirksam, soweit sie eine Haftung des Arbeitgebers für ein vorsätzliches Handeln von Erfüllungs- und Verrichtungsgehilfen ausschließt. Insoweit verstößt die Klausel weder gegen § 202 Abs. 1 BGB noch gegen §§ 305 ff. BGB. Die Annahme der Teilnichtigkeit stellt auch keine unzulässige geltungserhaltende Reduktion dar.

2. Die erste Stufe einer zweistufigen arbeitsvertraglichen Verfallklausel wird regelmäßig nicht durch die innerhalb der Frist erfolgte Einreichung (Anhängigkeit) einer Klage beim Arbeitsgericht gewahrt, wenn die Klage erst nach Fristablauf zugestellt (rechtshängig) wird.

  1. § 167 ZPO ist auf die erste Stufe einer arbeitsvertraglichen Verfallklausel weder unmittelbar noch mittelbar anwendbar. An der bisherigen Rechtsprechung des BAG ist festzuhalten. Die Entscheidung des BGH vom 17. Juli 2008 (I ZR 109/05) führt für Verfallklauseln nicht zu einer Rechtsprechungsänderung.
  2. Die jeweilige vertragliche Verfallklausel bedarf allerdings einer Auslegung dahingehend, ob prozessuale Vorschriften wie § 167 ZPO nach dem Willen der Parteien Anwendung finden sollen. Für die erste Stufe einer zweistufigen Verfallfrist ist regelmäßig davon auszugehen, dass nach dem Willen der Parteien § 167 ZPO nicht anzuwenden ist.
 

Normenkette

BGB §§ 134, 167, 202 Abs. 1, § 278 S. 2, § 305 ff.

 

Verfahrensgang

ArbG Köln (Urteil vom 06.10.2010; Aktenzeichen 5 Ca 6981/10)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 20.06.2013; Aktenzeichen 8 AZR 280/12)

 

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 06. Oktober 2010 – 5 Ca 6981/10 – wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin macht Schmerzensgeld geltend.

Die Klägerin war bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin vom 1. Juli 1996 bis zum 31. Mai 2010 beschäftigt. Zuletzt war sie die Leiterin der von der Beklagten betriebenen Tankstelle. Die Tankstelle gehörte ursprünglich den Schwiegereltern der Klägerin; sie wurde am 1. September 2009 von der Beklagten übernommen.

§ 12 des zwischen den Parteien am 31. August 2009 unterzeichneten Arbeitsvertrages enthält folgende Regelungen:

„Alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen verfallen, wenn sie nicht innerhalb von drei Monaten nach der Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich erhoben werden.

Lehnt die Gegenpartei den Anspruch ab oder erklärt sie sich nicht innerhalb von zwei Wochen nach der Geltendmachung des Anspruchs, so verfällt dieser, wenn er nicht innerhalb von drei Monaten nach Ablehnung oder dem Fristablauf gerichtlich geltend gemacht wird.”

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 1. Dezember 2009 „fristgemäß unter Einhaltung der Kündigungsfrist während der Probezeit zum 16.12.2010”. Wegen des Schreibfehlers sprach sie vorsichtshalber unter dem 16. Dezember 2009 eine weitere Kündigung zum 31. Dezember 2009 aus. In einem Vorprozess verständigten sich die Parteien am 2. Februar 2010 auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Ablauf des 31. Mai 2010. Das Gericht hat die Akte beigezogen (ArbG Köln 13 Ca 1655/09).

Die Klägerin war vom 16. November 2009 bis zum 31. Mai 2010 und darüber hinaus arbeitsunfähig erkrankt. Mit Schreiben vom 26. März 2010 unterrichtete sie die Beklagte darüber, dass sie gegen ihren Vorgesetzten Herrn E Strafanzeige wegen „des Verdachts der Beleidigung und der sexuellen Belästigung” gestellt habe. Das Verfahren ist im November 2010 gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden.

Mit der am 30. August 2010 beim Arbeitsgericht und der Beklagten am 9. September 2010 zugestellten Klage macht die Klägerin die Zahlung von Schmerzensgeld geltend, weil sie ihre Erkrankung im Zeitraum vom 16. November 2009 bis zum 31. Mai 2010 auf „Mobbing-Handlungen” von Herrn E zurückführt.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, ihr stehe Schmerzensgeld zu, weil die Beklagte für das Verhalten von Herrn E eintreten müsse. Hierzu hat sie behauptet, Herr E habe sie fast täglich als „doof”, „blöd” oder „unfähig” bezeichnet. Sie habe nicht vertragsgerechte Arbeiten verrichten müssen. Als die Tankstelle am 8. Oktober 2009 überfallen worden sei, habe er allen Mitarbeitern und somit auch ihr vorgehalten, sie seien zu blöd, um den Täter festzuhalten. Er habe ihr bewusst wahrheitswidrig unterstellt, Überstunden zu Unrecht abzurechnen. Er habe ihr gegen ihren Willen ein Video der Gruppe Rammstein mit dem Namen „Pussy Video” gezeigt. Als ihr Freund vorbeigekommen sei, habe er die...

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