Entscheidungsstichwort (Thema)

Verdachtskündigung. Betriebsgeheimnisse. Parteivernehmung. Menschenrechtskonvention. Waffengleichheit. Freistellung

 

Leitsatz (amtlich)

Der gegen eine Führungskraft sprechende dringende Verdacht, sich unbefugt Betriebsgeheimnisse durch Herstellung und Speicherung einer privaten Datenkopie verschafft und dabei zu Zwecken des Wettbewerbs gehandelt zu haben (§ 17 Abs. 2 Nr. 1 UWG), kann wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung ohne Abmahnung sein.

Zum Begriff des Betriebsgeheimnisses.

Zur Parteivernehmung des Beweisführers und der Rechtsprechung des EGMR zur prozessualen Waffengleichheit.

 

Normenkette

BGB § 626 Abs. 1; SprAuG § 31 Abs. 2 S. 3; UWG § 17 Abs. 2 Nr. 1; ZPO § 448

 

Verfahrensgang

ArbG Köln (Entscheidung vom 18.11.1999; Aktenzeichen 6 Ca 6791/99)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das am 18.11.1999 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Köln – 6 Ca 6791/99 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

(abgekürzt gem. § 543 Abs. 1 ZPO)

Die Parteien – nämlich die beklagte AG & Co. KG, die Wellpappe produziert und der am 06.06.1949 geborene, seit Januar 1987 von ihr in ihrem Pulheimer Betrieb als Werksleiter mit dem Status eines leitenden Angestellten beschäftigte, mit Prokura versehene Kläger – streiten um die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung vom 16.08.1999 (Bl. 14), wiederholt als ordentliche Kündigung zum 30.06.2000 (Bl. 20). Die Beklagte hat sie ausgesprochen, weil sie – wie es in ihrem Anhörungsschreiben an den Sprecherausschuß vom 11.08.1999 (Bl. 61 ff.) heißt – den Kläger in Verdacht hat, vertrauliche Unterlagen aus dem Machtbereich des Unternehmens entfernt zu haben, um die darauf enthaltenen Informationen anderweitig zu verwerten. Sie hatte den Kläger nämlich durch ein Schreiben vom 28.07.1999 (Bl. 13) „bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses widerruflich” freigestellt, weil sie ihm ordentlich kündigen wollte. Nach Darstellung der Beklagten soll dem Kläger das Freistellungsschreiben gegen 10.00 Uhr des 28.07.1999 vom Zeugen V. Personalleiter, übergeben worden sein, verbunden mit dem gleichzeitigen und gegen 14.00 Uhr telefonisch wiederholten Hinweis, er habe sofort den Arbeitsplatz zu verlassen, dem der Kläger aber erst gegen 16.00 Uhr nachgekommen sei. Am gleichen Tag (28.07.1999) sandte der Kläger gegen 14.00 Uhr von seinem Dienstcomputer aus Firmendateien an seinen heimischen Privatcomputer. Hierbei handelt es sich u. a. um eine mit „Stoff Zusammensetzungen” überschriebene Liste von verschiedenen Sorten der produzierten Wellpappen mit Angaben über deren Durchstoßwiderstand (PET), den Berstwiderstand und den Kantenstauchwiderstand (ECT); eine Spalte gibt den Preis je qm an, eine Spalte („Bemerkung”) enthält Hinweise auf den Abnehmer (Kunden). Ferner waren unter den übersandten Daten eine mit „Papierkosten in DM/m²” überschriebene Liste mit Angaben über die Einkaufspreise der benötigten Papiersorten (Bl. 203) sowie eine Gegenüberstellung zweier Wellpappensorten unter dem Titel „Alternative Stoffzusammensetzungen” (Bl. 204).

Das Arbeitsgericht hat die Kündigungsschutzklage abgewiesen. Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter mit der Begründung, das Arbeitsgericht gehe zu Unrecht davon aus, daß ihm das Freistellungsschreiben übergeben worden sei; vielmehr sei es ihm auf den Schreibtisch gelegt worden, wo er es erst mittags vorgefunden habe. Es sei nicht davon die Rede gewesen, daß er das Werk umgehend habe verlassen sollen; vielmehr habe er den Zeugen V. darauf hingewiesen, daß er noch einiges zu erledigen habe, worauf dieser erwidert habe, er wolle wieder auf ihn, den Kläger, zukommen (Beweis: eigene Parteivernehmung). Die von ihm übersandten Daten seien keine streng vertraulichen Unternehmensdaten. Die Übersendung habe er vorgenommen, weil er Mitarbeitern habe behilflich sein wollen: Für den Zeugen A. habe er noch Unterlagen für die Nachkalkulation vorbereiten und für den Zeugen R. noch eine von diesem erbetene Überarbeitung der Stoff liste vornehmen wollen. Bei der Beteiligung des Sprecherausschusses habe die Beklagte die gesetzlichen Fristen nicht beachtet.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung festzustellen, daß das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis weder durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 16.08.1999 aufgelöst worden ist noch durch die fristgerechte Kündigung vom 16.08.1999, zugegangen am 23.08.1999, aufgelöst werden wird, sondern darüber hinaus unverändert fortbesteht.

Die Beklagte beantragt Zurückweisung der Berufung mit der Behauptung, die streitigen Dateien enthielten streng vertrauliche, für die Konkurrenz äußerst bedeutsame Unternehmensdaten, die einem Wettbewerber erhebliche Entwicklungs- und Forschungskosten hätten ersparen und ihm einen ganz maßgeblichen Wettbewerbsvorteil sowohl hinsichtlich der Stoff Zusammensetzung der Kartonagen als auch hinsichtlich der Preisgestaltung verschiedener Konten hätten verschaffen können. Auf ei...

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