Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitsunfall. Haftungsausschluss. bedingter Vorsatz. Schmerzensgeld

 

Leitsatz (amtlich)

1. Lässt ein Arbeitgeber die Gummiwalzen an einer Beschichtungsmaschine durch Arbeitnehmer unter Verwendung eines vom Maschinenhersteller nicht vorgesehenen Schleifblocks reinigen und gerät ein Arbeitnehmer dabei zwischen die laufenden Walzen, so begründet allein dieser Umstand nicht den Vorwurf, der Arbeitgeber habe zumindest bedingt vorsätzlich den Arbeitsunfall herbeigeführt und dabei auch die Folgen billigend in Kauf genommen.

2. Der Haftungsausschluss nach § 104 Abs. 1 S. 1 SGB VII für Personenschäden gilt auch dann, wenn sich der Arbeitnehmer schwerste Verletzungen zugezogen hat.

 

Normenkette

SGB VII §§ 104-105

 

Verfahrensgang

ArbG Aachen (Urteil vom 01.07.2010; Aktenzeichen 8 Ca 4560/09 d)

 

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 1. Juli 2010 – 8 Ca 4560/09 d – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger von der Beklagten Ersatz von materiellen und immateriellen Schäden aufgrund eines Arbeitsunfalls vom 19. August 2006 sowie Schmerzensgeld verlangen kann.

Der Kläger, geboren am … 1969, verheiratet, zwei minderjährigen Kindern gegenüber unterhaltsverpflichtet, ist seit dem 8. Juli 2002 als angelernte Reinigungskraft bei der Firma S AG beschäftigt gewesen. Diese firmierte im Oktober 2006 in M AG um und wurde im Januar 2008 durch gesellschaftsrechtliche Umwandlung zur jetzigen Beklagten.

Am 19. August 2006 war der Kläger mit der Reinigung der Walzen an der Beschichtungsmaschine BM 9 beschäftigt, die aus zwei Silikonauftragswerken besteht. Jedes Auftragswerk besteht aus 5 sichtbaren und zum Teil gegeneinander laufenden Walzen, wobei die Walzen 1 und 2 waagerecht und die Walzen 3, 4 und 5 senkrecht angebracht sind. Auf die überreichte schematische Darstellung der BM 9, die Detailskizze der 5 Walzen sowie die Fotografie des Auftragswerks wird Bezug genommen (Anlage B 3, B 4 und B 5, Bl. 148 – 151 d. A.). Die Walzen 2 und 4 haben eine Gummioberfläche, die übrigen Walzen eine Stahloberfläche. Der Kläger gibt an, gegen etwa 9. 00 Uhr bei der Reinigung der Walze 2 des Auftragswerks 1 abgerutscht zu sein und zuerst mit den Armen und dann auch mit seinem Oberkörper zwischen die gegeneinander laufenden Walzen 3 und 4 geraten zu sein.

Der Kläger war danach 4 bis 5 Wochen auf der Intensivstation und danach noch weitere 2 Wochen auf einer anderen Station eines Krankenhauses. Im Anschluss fand eine erste 6-wöchige Rehabilitationsmaßnahme statt. Er war weiterhin arbeitsunfähig erkrankt und musste nach etwa 1 ½ Monaten erneut an einer 5-wöchigen Rehabilitationsmaßnahme teilnehmen. In der Zeit vom 7. Februar 2007 bis zum 9. März 2007 musste er sich erneut einer Behandlung in einem Krankenhaus unterziehen.

Die Deutsche Rentenversicherung stellte die volle Erwerbsminderung des Klägers fest und zahlte ab dem 1. Dezember 2007 befristet bis zum 31. Dezember 2009 eine Erwerbsunfähigkeitsrente in Höhe von EUR 669,99. Die zuständige Berufsgenossenschaft billigte dem Kläger nach einem Widerspruch eine monatliche Rente in Höhe von EUR 1.659,94 zu.

Mit Schreiben vom 29. Juli 2008 verlangte der Kläger von der Beklagten, Ansprüche auf Schadensersatz und Schmerzensgeld anzuerkennen. Dies lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 31. Juli 2008 ab.

Sein Begehren verfolgt der Kläger weiter mit der am 8. Oktober 2009 beim Arbeitsgericht Aachen eingegangenen Klage.

Er trägt vor, die Rechtsvorgängerin der Beklagten habe den Arbeitsunfall als möglich vorausgesehen und billigend in Kauf genommen. Sie könne sich nicht auf den Haftungsausschluss nach §§ 104, 105 SGB VII berufen.

Entgegen der Anweisung der Herstellerin der Beschichtungsmaschine BM 9 sei wöchentlich die Oberfläche der Walzen mit Hilfe eines Schleifblocks per Hand von erhärtetem Silikon befreit worden, wobei die Walzen wie auch bei sonstigen Reinigungsarbeiten gelaufen hätten. Beim Abschleifen mit dem Schleifblock seien die Walzen mit 28 % der möglichen Geschwindigkeit von 280 m pro Minute gelaufen. Beim Reinigen und Abschleifen hätten die betreffenden Mitarbeiter häufig unter Zeitdruck gestanden. Den Verantwortlichen der Rechtsvorgängerin der Beklagten sei bekannt gewesen, dass das Reinigen und Schleifen bei laufender Maschine extrem gefährlich sei. Sie hätten auch gewusst und gebilligt, dass ungelernte Hilfskräfte – wie er – und nicht die qualifizierten Mitarbeiter diese Arbeiten verrichtet hätten. Die Mitarbeiter seien nicht dahin unterwiesen worden, dass das Schleifen nicht bei laufenden Walzen vorgenommen werden dürfe. Schutzvorrichtungen, die verhindert hätten, dass Mitarbeiter bei diesen Arbeiten zwischen die laufenden Walzen gerieten, seien nicht vorhanden gewesen. Auch dies sei den Verantwortlichen der Rechtsvorgängerin der Beklagten bekannt gewesen. Die Reinigungsarbeiten seien auch dann bei laufender Maschine durchgeführt wo...

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