Entscheidungsstichwort (Thema)

Freistellungsvoraussetzungen nach § 37 Abs. 2 BetrVG. Unterlassungsanspruch aus § 23 Abs. 3 Satz 1 BetrVG nur bei grober Pflichtverletzung des Arbeitgebers. Kein Anspruch des Betriebsrats auf Unterlassung von Entgeltabzügen aus § 78 S. 1 BetrVG

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Nach § 37 Abs. 2 BetrVG sind Betriebsratsmitglieder von ihrer beruflichen Tätigkeit nur insoweit befreit, als dies zur ordnungsgemäßen Durchführung ihrer Aufgaben erforderlich ist. Grundsätzlich sind dabei die Dringlichkeit der beruflichen Tätigkeit und die Dringlichkeit der Verrichtung von Betriebsratsarbeit gegeneinander abzuwägen.

2. Übt ein Betriebsratsmitglied - angeblich - von zu Hause aus eine Betriebsratstätigkeit aus und nimmt der Arbeitgeber deshalb einen Gehaltsabzug vor, stellt dies für sich allein keinen groben Pflichtenverstoß des Arbeitgebers i.S.d. § 23 Abs. 3 Satz 1 BetrVG dar.

3. Begehrt der Betriebsrat im Beschlussverfahren die Sicherstellung der zukünftigen Entgeltzahlung an seine Mitglieder, kann er sich nicht auf § 78 Satz 1 BetrVG berufen. Denn es geht ihm um die Verhinderung eines künftigen Verhaltens des Arbeitgebers, nicht aber um eine vorbeugende Unterlassung einer Behinderung des Betriebsrats oder einzelner Betriebsratsmitglieder.

 

Normenkette

BetrVG § 23 Abs. 3 S. 1, § 37 Abs. 2, § 78 S. 1; BGB § 611 Abs. 1; ArbGG § 81 Abs. 3 S. 2; ZPO § 256

 

Verfahrensgang

ArbG Köln (Entscheidung vom 23.06.2022; Aktenzeichen 11 BV 16/22)

 

Tenor

  • I.

    Die Beschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Köln vom 23.06.2022 - 11 BV 16/22 - wird zurückgewiesen.

  • II.

    Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die Frage der Behinderung der Betriebsratsarbeit durch die Arbeitgeberin.

Die Arbeitgeberin ist ein bundesweit tätiges Textilunternehmen. Der in ihrer "Filiale K " (S ) gebildete und aus sieben Mitgliedern bestehende Betriebsrat entschied im Zuge der Corona-Pandemie, Sitzungen auf Grundlage seiner Geschäftsordnung im Rahmen von Videokonferenzen durchzuführen und seinen Mitgliedern die Teilnahme an diesen Videokonferenzen von zu Hause aus zu ermöglichen.

Die Arbeitgeberin wies zwischen August 2021 und Mai 2022 bei verschiedenen Betriebsratsmitgliedern auf deren Gehaltsabrechnungen für mehrere Tage unbezahlte Fehlzeiten für Tage aus, an denen diese - so deren Behauptung - von zu Hause aus an Betriebsratssitzungen teilgenommen oder andere Betriebsratstätigkeiten verrichtet haben.

Mit seinem am 02.02.2022 bei dem Arbeitsgericht Köln eingereichten Antrag hat der Betriebsrat einen Unterlassungsanspruch wegen Behinderung der Betriebsratsarbeit und Benachteiligung von Betriebsratsmitgliedern geltend gemacht. Er hat die Auffassung vertreten, die von der Arbeitgeberin vorgenommenen Gehaltskürzungen stellten eine Behinderung seiner Arbeit, eine Benachteiligung von Betriebsratsmitgliedern sowie einen Verstoß gegen das Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit dar. Die Arbeitgeberin versuche durch die Gehaltsabzüge, Betriebsratsmitglieder zu nötigen, ausschließlich im Betriebsratsbüro an Betriebsratssitzungen teilzunehmen. Dies sei jedoch wegen der zu kleinen Räumlichkeiten und dem damit verbundenen Infektionsrisiko unzumutbar.

Die Arbeitgeberin sei - so die Behauptung des Betriebsrats - über die Sitzungen informiert. Seine Mitglieder seien in den Personaleinsatzplänen wegen der Ausübung von Betriebsratstätigkeit, insbesondere für die Teilnahme an den regulär feststehenden Betriebsratssitzungen, mit Zustimmung der Arbeitgeberin "ausgetragen". Die tatsächliche Teilnahme an den Betriebsratssitzungen sei für die Arbeitgeberin zudem ohne Weiteres anhand der Sitzungsprotokolle nachzuvollziehen. Betriebsratsmitglieder mit einer Arbeitszeit von fünf Stunden täglich hätten mit der Teilnahme an den Sitzungen ihre gesamte Arbeitszeit abgedeckt. Die Mitglieder mit längerer Arbeitszeit erledigten nach den Sitzungen in der Regel noch anderweitige Betriebsratsarbeit wie zum Beispiel die Erstellung des Sitzungsprotokolls.

Der Betriebsrat hat beantragt,

  1. die Arbeitgeberin zu verpflichten, es zu unterlassen, die nachfolgenden Maßnahmen durchzuführen:

    • -

      Gehaltsabzüge bei Betriebsratsmitgliedern/Ersatzmitgliedern für Zeiten, zu denen sie von zu Hause aus an Betriebsratssitzungen nach § 30 Abs. 2 BetrVG per Video- oder Telefonkonferenz teilgenommen haben,

    • -

      hilfsweise Gehaltsabzüge bei Betriebsratsmitgliedern/Ersatzmitgliedern für Zeiten, zu denen sie von zu Hause aus an erforderlichen Betriebsratssitzungen nach § 30 Abs. 2 BetrVG per Video- oder Telefonkonferenz teilgenommen haben,

    • -

      Gehaltsabzüge bei Betriebsratsmitgliedern/Ersatzmitgliedern für Zeiten, zu denen sie von zu Hause aus vor oder nach einer Betriebsratssitzung, an der sie nach § 30 Abs. 2 BetrVG per Video- oder Telefonkonferenz teilgenommen haben, erforderliche Betriebsratstätigkeit im Sinne von § 37 Abs. 2 BetrVG ausgeübt haben,

  2. der Arbeitgeberin für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Verpflichtung aus Nummer 1 ein Ordnungsgeld ...

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