Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsratssitzung per Videokonferenz, Betriebsratssitzung von zu Hause aus, Behinderung der Betriebsratsarbeit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bis zum 30.06.2021 sind Betriebsratsmitglieder regelmäßig berechtigt, an Betriebsratssitzungen per Videokonferenz von zu Hause aus teilzunehmen, wenn im Betrieb die Vorgaben der SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung (Corona-ArbSchV) vom 21. Januar 2021 für Sitzungen des Betriebsrats nicht eingehalten werden können.

2. Es stellt eine unzulässige Behinderung der Betriebsratsarbeit dar, wenn ein Arbeitgeber unter diesen Umständen wegen der Teilnahme von zu Hause aus Betriebsratsmitgliedern Abmahnungen erteilt oder Gehaltskürzungen vornimmt.

 

Normenkette

BetrVG § 78 S. 1, § 129 Abs. 1

 

Tenor

1. Der Beteiligten zu 2) wird aufgegeben, bis zum 30.06.2021 nachfolgende Maßnahmen zu unterlassen:

  • Gehaltsabzüge bei Betriebsratsmitgliedern / Ersatzmitgliedern für … Zeiten, zu denen sie gemäß § 129 BetrVG von zu Hause aus per Video- oder Telefonkonferenz an Betriebsratssitzungen teilgenommen haben.
  • Ausspruch von Abmahnungen oder Kündigungen gegenüber Betriebsratsmitgliedern / Ersatzmitgliedern, weil sie gemäß § 129 BetrVG von … zu Hause aus per Video- oder Telefonkonferenz an Betriebsratssitzungen teilgenommen haben.

2. Der Beteiligten zu 2) wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen eine … der Verpflichtungen aus Ziffer 1 ein Ordnungsgeld bis zu einer Höhe von 10.000 Euro angedroht.

3. Im Übrigen werden die Anträge zurückgewiesen.

 

Tatbestand

A.

Die Beteiligten streiten im Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens in der Sache darüber, ob die Arbeitgeberin die Durchführung von Sitzungen des Betriebsrats als Präsenzsitzung bzw. die Teilnahme vom Betriebssitz aus verlangen darf.

Die Beteiligte zu 2) ist ein bundesweit tätiges Textilunternehmen, der Antragsteller der in ihrem K… „Betrieb 1” gewählte 7-köpfige Betriebsrat. Im Jahr 2020 war die Filiale aufgrund der durch die Sars-COV2-Pandemie bedingten zwischenzeitlich vollständigen Schließung des Einzelhandels teilweise geschlossen. Seit dem ersten „Lockdown” im März 2020 und bis September 2020 duldete die Arbeitgeberin zunächst, dass die zweimal wöchentlich stattfindenden ordentlichen Sitzungen des Betriebsrats per Videokonferenz aus dem Homeoffice durchgeführt wurden, wobei zwei Betriebsratsmitglieder sich während der Sitzung in der Regel im Betriebsratsbüro befanden. Zuvor waren die Sitzungen des Betriebsrats stets insgesamt im Betriebsratsbüro der Filiale durchgeführt worden. Mit E-Mails vom 17.11. und 18.12.2020 forderte die Arbeitgeberin den Betriebsrat auf, seine Sitzungen künftig wieder vor Ort durchzuführen und stellte hierfür zusätzlich das sogenannte Communication-Büro zur Verfügung. In der E-Mail vom 18.12.2020 kündigte sie an, dass Sitzungstage als unbezahlt gewertet würden, wenn die Sitzungen nicht in den Betriebsräumen stattfänden und keine Stempelzeiten registriert würden. Der Betriebsrat forderte die Arbeitgeberin seinerseits mit E-Mail vom 30.11.2020 (vergeblich) dazu auf zu bestätigen, dass die Betriebsratsmitglieder auch weiterhin per Videokonferenz an Betriebsratssitzungen teilnehmen und auch im Übrigen von zu Hause aus erforderlicher Betriebsratsarbeit nachgehen könnten und diese Zeiten auch vergütet würden. Drei Betriebsratsmitgliedern wurde in der Folge indes wegen der Teilnahme an Betriebsratssitzungen Ende 2020 aus dem home office Gehalt einbehalten. Im Zuge des zweiten Lockdowns gestattete die Arbeitgeberin wiederum die Teilnahme an Betriebsratssitzungen von zu Hause aus. Im Zusammenhang mit der Wiedereröffnung der Filiale nach dem zweiten Lockdown forderte die Arbeitgeberin den Betriebsrat indes mit E-Mails vom 8. und 11.03.2021 wiederum zur Durchführung der Betriebsratssitzungen in der Filiale auf. Zugleich kündigte sie an, dass sie im Falle der Abwesenheit der Betriebsratsmitglieder „jeden Tag sowohl in der Zeiterfassung als auch rechtlich (hier mit den entsprechenden Konsequenzen) als unbezahlter Fehltag werten” bzw. „den Tag nicht vergüten und als unentschuldigten Fehltag abmahnen” würde. Da fünf Betriebsrats- beziehungsweise Ersatzmitglieder trotzdem am 01.03.2021 nicht in Betrieb erschienen, sondern an der ordentlichen Sitzung des Betriebsrats an diesem Tag von zu Hause aus teilnahmen, erhielten sie hierauf bezogene Abmahnungen mit dem Vorwurf des unentschuldigten Fehlens.

Der Betriebsrat ist der Auffassung, dass die Arbeitgeberin mit ihren Maßnahmen entgegen § 78 Satz 1 BetrVG die Betriebsratsarbeit behindere und er insoweit Unterlassung verlangen könne. Zudem verstoße die Arbeitgeberin gegen das Benachteiligungsverbot des § 78 Satz 2 BetrVG und das Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit. Hierzu trägt er vor, dass er sich aus Gründen des Infektionsschutzes dazu entschieden habe, die Betriebsratssitzungen weiterhin gemäß § 129 Abs. 1 BetrVG im Rahmen von Videokonferenzen durchzuführen und den Mitgliedern die Teilnahme an den Sitzungen von zu Hause aus zu ermöglichen. Das Risiko, ...

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