Entscheidungsstichwort (Thema)

Bindungswirkung von Verweisungsbeschüssen. kein Wegfall bei nur fehlerhafter Rechtsanwendung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Unter Berücksichtigung der Gesetzesbindung (Art. 20 Abs. 3 GG) kann die gesetzlich angeordnete Bindungswirkung von Verweisungsbeschlüssen im Wege richterrechtlicher Rechtsfortbildung bei Verfassungsverstößen, etwa bei Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG oder Art. 103 Abs. 1 GG entfallen.

2. Eine fehlerhafte Rechtsanwendung führt nur zu einem „error in procedendo”, der noch nicht ausreicht, einen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG zu begründen.

3. Ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG aufgrund willkürlicher Rechtsanwendung liegt vor, wenn eine einschlägige Norm nicht berücksichtigt oder in krasser Weise missdeutet wird (im Anschluss an BVerfG v. 1.10.2009 – 1 BvR 1969/09 –).

 

Normenkette

ArbGG § 48 Abs. 1; GVG § 17a Abs. 2 S. 3; GG Art. 101 Abs. 1 S. 2, Art. 103 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Köln (Aktenzeichen 3 Ca 9446/09)

 

Tenor

Das Arbeitsgericht München wird als zuständiges Gericht bestimmt.

 

Tatbestand

I.

Der Kläger ist aufgrund Arbeitsvertrages vom 17.10.1995 bei der Beklagten, die ihren Sitz in M hat, als Verkehrsflugzeugführer beschäftigt. Der Arbeitsvertrag sieht in § 2 als Einsatzort B vor, gemäß § 20 Abs. 2 des Vertrages ist Gerichtsstand das für den Erfüllungsort zuständige Arbeitsgericht. Der Kläger war zuletzt als Flugkapitän tätig. Sein Einsatz begann und endete seit 1997 regelmäßig am Flughafen Köln/Bonn. Teilweise erfolgte von dort ein Weitertransport zum Abflugflughafen.

Mit Schreiben vom 18.09.2009 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 30.06.2010, hilfsweise zum nächstzulässigen Termin. Mit seiner beim Arbeitsgericht Köln eingereichten Klage wehrt der Kläger sich gegen die Kündigung.

Die Beklagte hat die örtliche Zuständigkeit des Arbeitsgerichts K gerügt und geltend gemacht, weder der Gerichtsstand des Erfüllungsortes noch die Gerichtsstände gemäß § 48 Abs. 1 a ArbGG seien einschlägig. Es sei das für ihren Sitz zuständige Arbeitsgericht München zur Entscheidung berufen. Nach Erörterung der Frage in der Gütesitzung am 03.12.2009 hat sich das Arbeitsgericht K mit Beschluss vom gleichen Tag für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht M verwiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, nach der Entscheidung des BAG vom 21.07.2009 – 9 AZR 404/08 – und in Abweichung zu einer früheren Entscheidung der Kammer – sei davon auszugehen, dass Arbeitsort des Klägers das Flugzeug sei. Die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 a Satz 1 ArbGG lägen deshalb nicht vor, weil dieser Arbeitsort örtlich nicht fixiert sei und keinem Arbeitsgerichtsbezirk zugeordnet werden könne. Auch § 48 Abs. 1 a Satz 2 ArbGG finde keine Anwendung, denn mit dem Flugzeug sei ein gewöhnlicher Arbeitsort feststellbar.

Nach erneuter Erörterung der Frage der örtlichen Zuständigkeit in der Gütesitzung am 17.05.2010 hat sich auch das Arbeitsgericht M mit Beschluss vom 05.07.2010 für örtlich unzuständig erklärt und das Landesarbeitsgericht Köln um Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts ersucht. Das Arbeitsgericht M ist der Auffassung, der Verweisungsbeschluss des Arbeitsgerichts K sei nicht bindend. Er sei willkürlich. Die Zuständigkeit des verweisenden Gerichts folge aus § 48 Abs. 1 a Satz 2 ArbGG, denn die Heimatbasis des Klägers befinde sich in Köln.

 

Entscheidungsgründe

II.

Zuständig für die Entscheidung des Rechtsstreits ist das Arbeitsgericht München.

1. Die Voraussetzungen für die Durchführung des Bestimmungsverfahrens analog § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO i. V. m. § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG sind erfüllt. Die Arbeitsgerichte K und M haben sich beide für unzuständig erklärt. Das Landesarbeitsgericht Köln ist gemäß § 36 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG für die Bestimmung des Gerichts zuständig.

2. Die Zuständigkeit des Arbeitsgerichts M für die Entscheidung des Rechtsstreits ergibt sich aus dem Verweisungsbeschluss des Arbeitsgerichts K vom 03.12.2009. Der Verweisungsbeschluss ist bindend.

a) Aufgrund der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung in § 17 a Abs. 2 Satz 3 GVG i. V. m. § 48 Abs. 1 ArbGG sind Verweisungsbeschlüsse für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, bindend. Die Bindungswirkung ist auch im Rahmen eines Bestimmungsverfahrens i.S.v. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO maßgeblich (BAG v. 19.03.2003 – 5 AS 1/03BAGE 105, 305 ff = NZA 2003, 683 f).

b) Mangels Ausnahmeregelung und unter Berücksichtigung der Gesetzesbindung (Art. 20 Abs. 3 GG) hat die Rechtsprechung im Wege richterrechtlicher Rechtsfortbildung nur in engen Grenzen und nur zur Durchsetzung von Grundrechtspositionen Ausnahmen von § 17 a Abs. 2 Satz 3 GVG zugelassen, insbesondere bei der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) oder bei Verletzung des Grundrechts auf den gesetzlichen Richter gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG (vgl. näher dazu Tombrink, NJW 2003, 2364).

c) Da im Streitfall eine Verletzung rechtlichen Gehörs i. S. v. Art. 103 Abs. 1 GG nicht...

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