Entscheidungsstichwort (Thema)

Aufhebung der Bewilligung der Prozesskostenhilfe wegen unterbliebener Mitteilung der Änderung der Anschrift

 

Leitsatz (amtlich)

Zu den Anforderungen an die "grobe Nachlässigkeit" im Sinne des § 124 Abs. 1 Nr. 2 ZPO i. V. m. § 120 a Abs. 2 ZPO.

 

Normenkette

ZPO §§ 120a, 124

 

Verfahrensgang

ArbG Aachen (Aktenzeichen 8 Ca 1506/14 d)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Aachen vom 30.06.2015 - 8 Ca 1506/14 d - aufgehoben.

 

Gründe

1. Gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 2 ZPO soll das Gericht die Bewilligung der Prozesskostenhilfe aufheben, wenn die Partei entgegen § 120 a Abs. 2 Satz 1 ZPO dem Gericht die Änderung ihrer Anschrift absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit nicht unverzüglich mitgeteilt hat.

Der Verstoß gegen die Pflicht zur Anzeige der Anschriftenänderung muss mithin "absichtlich" oder jedenfalls auf Grund "grober Nachlässigkeit" erfolgt sein, um zu der Aufhebungssanktion zu führen. Schädlich ist somit nur direkter oder bedingter Vorsatz oder zumindest grobe Nachlässigkeit. Ist grobe Nachlässigkeit prozessual zu bewerten, so liegt eine solche erst dann vor, wenn die Prozesskostenhilfepartei ihre Pflicht in besonders schwerwiegender Weise verletzt hat. Sie muss also ohne jede prozessuale Sorgfalt etwas unterlassen haben. Sie muss die im Prozess erforderliche Sorgfalt in einem ungewöhnlichen, groben Maß verletzt haben und dabei dasjenige unbeachtet gelassen haben, was jeder Partei unmittelbar hätte einleuchten müssen. Sie muss somit ausnehmend sorglos gewesen sein (vgl. z. B. Baumbach § 296 ZPO Rn. 61 mit Nachweisen auch zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts). Wegen des Sanktionscharakters ist bei der Prüfung des Verschuldens "Augenmaß zu bewahren" (LAG Baden-Württemberg 10.06.2015 - 4 Ta 8/15 - Rn. 18). Dass im Falle eines Umzugs die eine oder andere Stelle bei der Mitteilung der Anschriftenänderung übersehen wird, ist ein weit verbreitetes Phänomen, das als solches nicht unter den Begriff der groben Nachlässigkeit subsumiert werden kann (vgl. LAG Baden-Württemberg a. a. O.). Zudem trifft die Prozesskostenhilfepartei nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes hinsichtlich des Fehlens eines Verschuldens keine Darlegungslast (LAG Baden-Württemberg a. a. O. Rn. 19 mit weiteren Nachweisen).

Auch die 1. Kammer des Landesarbeitsgerichts Köln hat in dem Beschluss vom 22.06.2015 (1 Ta 145/15) es als entschuldigend ausreichen lassen und auch gemäß § 85 Abs. 2 ZPO der Klägerin nicht als Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten zugerechnet, dass die Klägerin sich darauf verlassen hatte, dass ihr Prozessbevollmächtigter gegebenenfalls für eine Weiterleitung ihrer neuen Adresse an die zuständigen Stellen sorge.

2. Das Arbeitsgericht Aachen hat weder in dem angefochtenen Beschluss, noch in seinem Schreiben vom 17.08.2015, noch im Nichtabhilfe-Beschluss vom 24.08.2015 positive Feststellungen dazu getroffen, warum nicht nur einfache Nachlässigkeit, sondern grobe Nachlässigkeit vorliegen soll, mithin eine besonders schwerwiegende Verletzung der Obliegenheiten der Partei. Im vorliegenden Fall ist nicht mehr festzustellen, als dass die Klägerin - wie es bei vielen Menschen zutrifft - im Zuge ihres Umzuges vergessen hat, dem Arbeitsgericht die Anschrift mitzuteilen. Das allein erfüllt die hohen Anforderungen die grobe Nachlässigkeit (vgl. dazu auch BVerfGE 69, 137) nicht.

Hinzukommt, dass die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten bereits im ursprünglichen Prozesskostenhilfebewilligungsverfahren vertreten war, so dass das Arbeitsgericht auch diesem die von ihm an die Klägerin gerichteten Schreiben hätte zustellen müssen (vgl. z. B. BGH, 08.12.2010- XII ZB 40/09).

Die Klägerin durfte sich daher darauf verlassen, dass auch dem Prozessbevollmächtigten Schreiben des Gerichts im Nachprüfungsverfahren zugestellt würden. Die Klägerin hat - was ohne weiteres glaubhaft ist - vorgetragen, dass der Prozessbevollmächtigte über ihre Handynummer verfügte, so dass sie erreichbar war.

Da sonstige Besonderheiten weder vom Arbeitsgericht festgestellt sind, noch sonst erkennbar sind, kann - da die Prozesspartei nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes hinsichtlich des Fehlens des Verschuldens auch keine Darlegungslast trifft - nicht festgestellt werden, dass ein Fall der groben Nachlässigkeit vorläge.

Dieses führt zur Aufhebung des Beschlusses des Arbeitsgerichts.

Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI8671555

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