Entscheidungsstichwort (Thema)

Aufhebung der Bewilligung der ratenfreien Prozesskostenhilfe wegen Verletzung der Mitwirkungspflicht. Zurechnung von Anwaltsverschulden

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine Partei kann sich bei Erfüllung ihrer Mitteilungspflicht gemäß § 120 a Abs. 2 Satz 1 ZPO durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen (§ 79 Abs. 2 Satz 1 ZPO).

2. Die Vorschrift des § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO hat Sanktionscharakter, so dass eine Zurechnung von Anwaltsverschulden gemäß § 85 Abs. 2 ZPO nicht in Betracht kommt. Maßgeblich ist die Redlichkeit der Partei selbst.

 

Normenkette

ZPO § 120a Abs. 2 S. 1, § 124 Abs. 1 Nr. 4; ArbGG § 11a Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Bonn (Entscheidung vom 17.02.2015; Aktenzeichen 5 Ca 451/14)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Bonn vom 17.02.2015 (5 Ca 451/14 EU) aufgehoben.

 

Gründe

I.

Mit der sofortigen Beschwere wendet sich die Klägerin gegen die Aufhebung der ihr gewährten Prozesskostenhilfe durch den angefochtenen Beschluss der Rechtspflegerin des Arbeitsgerichts Bonn.

Der Klägerin war vom Arbeitsgericht Bonn mit Beschluss vom 2.5.2014 für die 1. Instanz ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt worden. Durch einen Rückbrief im Nachprüfungsverfahren und die nachfolgende Mitteilung des Einwohnermeldeamtes wurde dem Arbeitsgericht bekannt, dass die Klägerin seit dem 20.6.2014 nicht mehr unter der bisherigen Adresse wohnhaft ist und sich am 10.9.2014 beim Einwohnermeldeamt umgemeldet hatte. Eine Mitteilung an das Arbeitsgericht ist nicht erfolgt. Mit Beschluss vom 17.2.2015 hat das Arbeitsgericht daraufhin die Prozesskostenhilfe wegen unterlassener Mitteilung der Anschriftenänderung aufgehoben.

Gegen den am 19.2.2015 zugestellten Beschluss hat die Klägerin am 10.3.2015 sofortige Beschwerde erhoben. Zur Begründung macht sie geltend, dass sie ihrem Prozessbevollmächtigten alle Änderungen der Anschrift mitgeteilt und sie sich darauf verlassen habe, dass dieser für eine ggf. erforderliche Weiterleitung an die zuständigen Stellen sorgt. Diese Darstellung hat der Prozessbevollmächtigte auf Nachfrage des Arbeitsgerichts mit Schreiben vom 17.03.2015 bestätigt. Ihm sei die neue Anschrift der Klägerin zwar mitgeteilt worden, er habe die Weitergabe an das Gericht unterlassen, weil ihm nicht bewusst gewesen sei, dass es sich um die neue Meldeanschrift gehandelt habe.

Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 26.3.2015 der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und das Verfahren dem Landesarbeitsgericht vorgelegt. Zur Begründung wird geltend gemacht, dass die Klägerin persönlich zur Mitteilung verpflichtet gewesen wäre und überdies ihr das Verschulden des Prozessbevollmächtigten gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zugerechnet werden müsse.

II.

Die gemäß § 11 Abs. 1 RPflG i. V. m. §§ 127 Abs. 2 Satz 2 u. 3 ZPO, 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, 11 a Abs. 1 ArbGG zulässige sofortige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Prozesskostenhilfe gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO i. V. m. § 11 a Abs. 1 ArbGG liegen nicht vor.

Gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO soll das Gericht die Bewilligung der Prozesskostenhilfe aufheben, wenn die Partei entgegen § 120 a Abs. 2 Satz 1 ZPO dem Gericht die Änderung ihrer Anschrift absichtlich oder aus großer Nachlässigkeit nicht unverzüglich mitgeteilt hat. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht gegeben.

1. Zwar ist die gesetzliche Mitteilungspflicht verletzt, denn der Wohnungswechsel, der bereits am 20.6.2014 erfolgt war und der zuständigen Meldebehörde am 10.9 2014 angezeigt wurde, ist dem Gericht nicht unverzüglich mitgeteilt worden. Über die entsprechende Mitteilungspflicht war die Klägerin auch durch einen besonderen Hinweis in dem von ihr am 4.4.2014 unterzeichneten Formular zur Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse belehrt worden.

2. Allerdings hat die Klägerin die ihr obliegenden Pflichten nicht "absichtlich" oder aus "grober Nachlässigkeit" verletzt.

a) Die Klägerin hat sich dahingehend eingelassen, dass sie ihrem Prozessbevollmächtigten alle Änderungen der Anschrift mitgeteilt und sie sich darauf verlassen habe, dass dieser ggf. für eine Weiterleitung an die zuständigen Stellen sorgt. Dieses Vorbringen wird von dem Prozessbevollmächtigten in seinem Schreiben vom 17.03.2015 im Wesentlichen bestätigt. Mangels anderer Anhaltspunkte ist von diesem Sachverhalt auszugehen.

b) Die Klägerin, die im Prozesskostenhilfeverfahren durch einen Anwalt vertreten war, konnte die prozessuale Mitteilungspflicht durch ihren Anwalt erfüllen und sich darauf verlassen, dass dieser die Anschriftenänderung dem Gericht mitteilt.

Gemäß § 79 Abs. 2 Satz 1 ZPO i.V.m. § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG gilt im arbeitsgerichtlichen Verfahren der Grundsatz, dass sich die Partei durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen kann. Das anwaltliche Mandat und die entsprechende Vollmacht (§ 81 ZPO) erstrecken sich auch auf das Prozesskostenhilfeüberprüfungsverfahren, denn es besteht ein Interesse der Partei, dass das gesamte Prozesskostenhilf...

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