Entscheidungsstichwort (Thema)

Regelungsabrede über Freistellungen von Betriebsratsmitgliedern

 

Leitsatz (amtlich)

1) Auch durch eine Regelungsabrede kann eine von § 38 Abs. 1 S. 1 – 4 BetrVG abweichende anderweitige Regelung über die Freistellung vereinbart werden. § 38 Abs. 1 S. 5 ist insoweit nicht abschließend.

2) Eine solche durch Regelungsabrede getroffene Vereinbarung ist wie eine Betriebsvereinbarung analog § 77 Abs. 5 BetrVG kündbar.

 

Normenkette

BetrVG § 38 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Köln (Beschluss vom 06.04.2011; Aktenzeichen 7 BV 234/10)

 

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Köln vom 06.04.2011 – 7 BV 234/11 – wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Tatbestand

I.

Die Beteiligten streiten um den Umfang der dem Betriebsrat zustehenden Freistellungen.

Die Arbeitgeberin ist eine internationale Luftfahrtgesellschaft, die in K. ihre Hauptverwaltung unterhält.

Im Zuge der Einführung einer neuen Konzernstruktur seit dem Jahre 1995 und der damit verbundenen Ausgliederung von Betriebsteilen der Arbeitgeberin auf selbständige Konzerngesellschaften war zwischen der Arbeitgeberin und weiteren Gesellschaften auf der einen Seite und dem Betriebsrat auf der anderen Seite streitig, ob ein Gemeinschaftsbetrieb in K. fortbestehe. Anlässlich diesbezüglicher gerichtlicher Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit der Betriebsratswahl 1998 kam es im Jahre 2000 zu einer Vereinbarung über das gemeinsame Verständnis der betrieblichen Strukturen in der Hauptverwaltung K.. Diese wurde von dem Betriebsrat, der Arbeitgeberin und weiteren Gesellschaften unterzeichnet. Insoweit wird auf Bl. 12. d. A. Bezug genommen. Die Arbeitgeberin übersandte dem Betriebsrat diese Vereinbarung mit einem Anschreiben vom 10.02.2000 (Bl.13 d. A.), in dem sie unter anderem ihre Rechtsauffassung hinsichtlich des aktiven und passiven Wahlrechts der betroffenen Mitarbeiter äußerte. Am Schluss des Schreibens heißt es:

„Für den Fall, dass der Betriebsrat der L.-AG, unter die Zahl von 600 Mitarbeitern sinken sollte, sagt die L.-AG zu, dennoch zwei Mitglieder von der Arbeit freizustellen (§ 38 BetrVG)”.

§ 38 wurde durch das Betriebsverfassungsgesetz vom 23.07.2001 geändert. Der Schwellenwert wurde auf 500 Arbeitnehmer abgesenkt.

In den folgenden Betriebsratswahlen 2002 (626 Beschäftigte) und 2006 (575 Beschäftigte) kam es auf das Schreiben vom 10.02.2000 nicht an.

Inzwischen ist die Belegschaftsstärke in der K. Hauptverwaltung auf etwa 440 Beschäftigte abgesunken. Der Betriebsrat wurde im Mai 2010 neu gewählt. Es wurden 11 Mitglieder in den Betriebsrat gewählt. Der Betriebsrat bestimmte zunächst 2 Betriebsratsmitglieder zur Freistellung in Vollzeit, nämlich Herrn B., den Vorsitzenden, und Frau S.. Nachdem Frau S. auf Grund einer Altersteilzeitvereinbarung aus dem Betriebsrat ausgeschieden ist, wurde an deren Stelle Frau M. als weiteres freigestelltes Betriebsratsmitglied bestimmt. Frau M. hat allerdings nur eine Teilzeitstelle von 80 % inne. Für die verbleibenden 20 % bestimmte der Betriebsrat Herrn P..

Mit Schreiben vom 10.06.2010 erklärte die Arbeitgeberin den Widerruf, hilfsweise die Kündigung der Zusage vom 10.02.2000. Ausweislich dieses Schreibens (Bl. 14 d. A.) sollten die damals vom Betriebsrat beschlossenen Freistellungen für die laufende Amtszeit unberührt bleiben. Die weitere Freistellung Herrn P. lehnt die Arbeitgeberin unter Hinweis auf den aus ihrer Sicht fehlenden Freistellungsanspruch ab (Bl. 112 d. A.).

Für sein Feststellungsinteresse hat sich der Betriebsrat zunächst darauf berufen, dass davon auszugehen sei, dass die Anzahl der regelmäßig Beschäftigten im Betrieb der Hauptverwaltung auch bei der nächsten Betriebsratswahl im Jahre 2014 unter 500 liegen werde und die Anzahl der vorzunehmenden Freistellungen damit maßgeblich von der Zusage aus dem Jahr 2000 abhängen werde. Der dem vorliegenden Antrag zugrunde liegende Konflikt werde damit neu entstehen.

Der Betriebsrat ist der Auffassung, dass es sich bei dem Schreiben vom 10.02.2010 um eine einseitige Zusage handele, die über das Jahr 2002 hinaus Rechtswirkungen erzeuge und als solche nicht gekündigt werden könne. Sie umgreife auch die heute in § 38 Abs. 1 Satz 5 BetrVG getroffene Regelung, dass Teilfreistellungen möglich seien.

Der Betriebsrat hat beantragt,

festzustellen, dass mindestens zwei Mitglieder des Antragstellers freizustellen sind, auch wenn die Anzahl der regelmäßig Beschäftigten im Betrieb der Hauptverwaltung des Arbeitgebers unter 500 absinken sollte, ohne dass es einer konkreten Darlegung der Erforderlichkeit der Freistellung eines über die Zahlenstaffel des § 38 Abs. 1 Satz 1 BetrVG hinausgehenden Betriebsratsmitglieds bedarf.

Die Arbeitgeberin hat beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat den Antrag als unzulässig mangels erforderlichen Feststellungsinteresses abgewiesen. Gegen diesen ihm am 27.05.2011 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller am 14.06.2011 Beschwerde eingelegt und diese zugleich begründet. ...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge