Entscheidungsstichwort (Thema)

Benachteiligungsverbot. Teilzeitbeschäftigte. geringfügig Beschäftigte. kirchliche Areitsvertragsregelungen. AVR. Dritter Weg

 

Leitsatz (amtlich)

1. Für die Frage, ob geringfügig Beschäftigte hinsichtlich ihrer Arbeitsvergütung entgegen § 4 Abs. 1 TzBfG schlechter behandelt werden als Vollzeitbeschäftigte, kommt es auf einen Vergleich mit dem Bruttoentgelt vollzeitbeschäftigter Mitarbeiter an.

2. Es bleibt offen, ob der Wille, alle Arbeitnehmer sollten nach Berücksichtigung unterschiedlicher Steuersätze das gleiche Nettoentgelt erhalten, einen Rechtfertigungsgrund für die Ungleichbehandlung geringfügig Beschäftigter in Tarifverträgen oder in kirchlichen Arbeitsvertragsregelungen, die auf dem Verfahren des Dritten Weges zustande gekommen sind, darstellen kann.

3. Kirchliche Arbeitsvertragsregelungen, die nicht auf dem Verfahren des Dritten Weges zustande gekommen, sondern durch ein erzbischöfliches Dekret in Kraft gesetzt worden sind, verstoßen gegen § 4 Abs. 1 TzBfG, falls geringfügig Beschäftigte nach diesen Arbeitsvertragsregelungen ein geringeres Entgelt als das Bruttoentgelt vergleichbarer Vollzeitbeschäftigter erhalten sollen (ebenso LAG Düsseldorf, Urteil vom 03.02.2011 – 5 Sa 1351/10). Das gilt auch dann, wenn das Nettoentgelt der geringfügig Beschäftigten höher ist als das Nettoentgelt vergleichbarer Vollzeitbeschäftigter. An die Stelle der unwirksamen Vergütungsregelung tritt gemäß § 612 Abs. 2 BGB die übliche Vergütung. Dies ist das Bruttostundenentgelt der Vollzeitbeschäftigten.

 

Normenkette

TzBfG § 4 Abs. 1; AVR Caritas

 

Verfahrensgang

ArbG Bielefeld (Urteil vom 20.10.2010; Aktenzeichen 6 Ca 1506/10)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird unter Zurückweisung seines weitergehenden Rechtsmittels das Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 20.10.2010 – 6 Ca 1506/10 – abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 767,55 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 01.05.2010 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin zu 20 % und der Beklagte zu 80 %.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über Zahlungsansprüche der Klägerin, die als geringfügig Beschäftigte das gleiche Stundenentgelt wie vollzeitbeschäftigte Mitarbeiter begehrt.

Der beklagte Verein betreibt ein Altenpflegeheim, in dem die Klägerin als Pflegeassistentin im Nachtdienst beschäftigt ist. Die Parteien trafen im Dienstvertrag vom 28.09.2001 unter anderem folgende Vereinbarungen:

„…

§ 2

Für das Dienstverhältnis gelten die „Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes” (AVR) in ihrer jeweils geltenden Fassung. Der Mitarbeiterin ist Gelegenheit zur Einsichtnahme in die AVR gegeben.

§ 4

Die Mitarbeiterin ist teilzeitbeschäftigt mit 8,5 Stunden in der Woche im Rahmen der jeweils gültigen Grenzwerte für geringfügig Beschäftigte.

§ 5

Abweichend von § 3 Abs. 1 der Anlage 18 zu den AVR und abweichend von den §§ 4, 5 und 6 der Anlage 18 zu den AVR wird folgendes gemäß § 3 Abs. 3 der Anlage 18 zu den AVR vereinbart.

Die Mitarbeiterin erhält eine Vergütung von 16,15 DM / Stunde für die Tätigkeit im Nachtdienst mit Wochenend- und Feiertagsdienst.

§ 6

Die Vergütung wird gemäß § 3 Abs. 2 der Anlage 18 zu den AVR um die vom Dienstgeber abzuführende Steuer gekürzt.

… „

Gemäß Abschnitt IIa Abs. (a) der Anlage 1 zu den AVR erhalten teilzeitbeschäftigte Mitarbeiter von den Dienstbezügen, die für entsprechende Vollzeitbeschäftigte festgelegt sind, den Teil, der dem Maß der mit ihnen vereinbarten durchschnittlichen Arbeitszeit entspricht.

§ 3 der Anlage 18 zu den AVR regelte bis zum 31.10.2009 für geringfügig Beschäftigte Folgendes:

„§ 3 Vergütung

(1) Der Mitarbeiter erhält eine Vergütung nach Art und Umfang seiner Tätigkeit, die sich aus der Grundvergütung, dem Ortszuschlag und der Zulage (Anlage 10 zu den AVR) nach der für vollbeschäftigte Mitarbeiter geltenden Vergütungstabelle errechnet. Die Bestimmungen des Abschnittes III und des Abschnittes V der Anlage 1 zu den AVR finden entsprechende Anwendung. Der Mitarbeiter, der das Eingangsalter seiner Vergütungsgruppe (Stufe 1) noch nicht erreicht hat, erhält eine Vergütung, die sich nach Abschnitt IV (Grundvergütung der Mitarbeiter ab vollendetem 18. Lebensjahr bis zur Erreichung des Eingangsalters) bzw. Abschnitt VI (Gesamtvergütung der Mitarbeiter vor dem vollendeten 18. Lebensjahr) der Anlage 1 zu den AVR errechnet.

(2) Ist auf den Antrag des Mitarbeiters die pauschalierte Lohnsteuer gemäß § 40a EStG durch den Dienstgeber abzuführen, so kann die Bruttovergütung gemäß Absatz 1 um die vom Dienstgeber zu tragende Steuer gekürzt werden.

(3) Im ausdrücklichen Einvernehmen und nach Belehrung über die sich in sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht ergebenden Folgen sowie über das Widerrufsrecht kann

  1. eine von Absatz 1 abweichende geringere Vergütung vereinbart werden,
  2. von den Regelungen über die Gew...

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