Entscheidungsstichwort (Thema)

Kündigungsschutz in der Insolvenz. Kündigung aufgrund eines Interessenausgleichs mit Namensliste wegen Stilllegung des Betriebes. Wegfall der Vermutungswirkung bei wesentlicher Änderung der Sachlage

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die gem. § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 InsO zu vermutende Betriebsbedingtheit der Kündigung entfällt, wenn sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert hat.

2. Die Sachlage muss sich nach dem Zustandekommen des Interessenausgleichs so wesentlich geändert haben, dass von einem Wegfall der Geschäftsgrundlage auszugehen ist.

 

Normenkette

InsO § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 2; KSchG § 1 Abs. 2 Sätze 1, 4; BGB § 613a Abs. 1 S. 1; KSchG § 17 Abs. 3 S. 4

 

Verfahrensgang

ArbG Gelsenkirchen (Urteil vom 13.06.2008; Aktenzeichen 5 Ca 842/08)

 

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Gelsenkirchen vom 13.06.2008 – 5 Ca 842/08 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 8.355,87 EUR festgesetzt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger will mit seiner am 19.11.2007 zunächst beim Arbeitsgericht Wesel eingegangenen und an das Arbeitsgericht Gelsenkirchen verwiesenen Klage feststellen lassen, dass das Arbeitsverhältnis durch die auf der Grundlage eines Interessenausgleichs mit Namensliste in der Insolvenz ausgesprochene Kündigung des Beklagten vom 12.11.2007 nicht zum 29.02.2008 aufgelöst worden ist.

Der am 13.07.1952 geborene Kläger war bei der D1-H1 GmbH seit dem 02.11.1987 als Hauer unter Tage gegen einen monatlichen Verdienst von zuletzt 2.785,29 Euro brutto tätig. Er ist gemäß Gleichstellungbescheid des Arbeitsamtes D3 vom 06.07.2000 einem Schwerbehinderten gleichgestellt und Inhaber des Bergmannsversorgungsscheins.

Am 01.06.2007 wurde über das Vermögen der D1-H1 GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Nachdem zuvor das Personal der Insolvenzschuldnerin durch vorangegangene Betriebsänderungen erheblich reduziert worden war, schloss der Beklagte mit dem Betriebsrat am 26.09.2007 einen Interessenausgleich über die Stilllegung des Untertagebetriebes und Einstellung des operativen Geschäftes der Insolvenzschuldnerin zum 31.12.2007. Dem Interessenausgleich war eine Namensliste beigefügt, auf der sich auch der Name des Klägers befindet.

In den Vorbemerkungen des Interessenausgleichs heißt es:

Die Betriebsparteien sehen die Gefahr, dass der Geschäftsbetrieb nicht, wie vorgesehen, bis zum 31.12.2007 aufrechterhalten werden kann, sondern zu einem früheren Zeitpunkt mit der Folge der Freistellung der Mitarbeiter von der Arbeit eingestellt werden muss. Um zu verhindern, dass diese Mitarbeiter ins „Bergfreie” fallen, sind dringend politische Lösungen erforderlich, um ihnen den Eintritt in eine Transfergesellschaft bzw. die Weiterbeschäftigung bei einem anderen Bergbauunternehmen zu ermöglichen, noch bevor es zu einer Freistellung kommt. Insbesondere für die Mitarbeiter, die kurz- und mittelfristig die Voraussetzungen für den Bezug von Anpassungsgeld erfüllen würden, wären die negativen Auswirkungen besonders deutlich spürbar. Im Jahr 2008 werden 139 Mitarbeiter die Voraussetzungen für die Anpassung erfüllen.

Im Übrigen wird auf den Inhalt des Interessenausgleichs und des Sozialplans (Bl. 18 – 36 d. A.) Bezug genommen.

Der Beklagte behauptet, unmittelbar nach Abschluss des Interessenausgleichs seien die Arbeitsverhältnisse aller Mitarbeiter am 27.09.2007 gekündigt worden, soweit keine behördlichen Zustimmungen erforderlich gewesen seien. Im Übrigen seien die Kündigungen unmittelbar nach Vorliegen der Zustimmung des Integrationsamtes und der Zustimmung der Zentralstelle für den Bergmannsversorgungsschein ausgesprochen worden. Der Kläger hat gegen den Zustimmungsbescheid des Versorgungsamtes G1 vom 06.11.2007 Widerspruch eingelegt. Er meint, sein Widerspruch habe gemäß § 86 a Abs. 1 SGG aufschiebende Wirkung.

Der Kläger hält die Kündigung für sozialwidrig, rügt die nicht ordnungsgemäße Anhörung es Betriebsrats und die Fehlerhaftigkeit der Massenentlassungsanzeige. Er trägt vor, die Behauptung des Beklagten, er habe das operative Geschäft mit Wirkung zum 31.12.2007 eingestellt, sei unrichtig. Tatsächlich beschäftige der Beklagte insgesamt mindestens 257 Arbeitnehmer unter Tage ohne Änderung der Kolonnenzusammensetzung auf den jeweiligen Zechen unverändert weiter. Nach dem Zustandekommen des Interessenausgleichs, dessen formale Wirksamkeit der Kläger rügt, habe sich die Sachlage wesentlich geändert, denn der Beklagte habe nach dem 26.09.2007 mit der Gewerkschaft IGBCE, der T3-S5 GmbH, dem Betriebsrat der Insolvenzschuldnerin sowie den NRW-Ministerien für Wirtschaft und Arbeit Verhandlungen geführt, um eine Weiterbeschäftigung eines Großteils der Arbeitnehmer über den 31.12.2007 hinaus zu ermöglichen. Gegenstand dieser Verhandlungen sei das Ziel gewesen, mindestens 257 Arbeitnehmer einer neu gegründeten Gesellschaft, der Bergbau-Spezi...

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