Entscheidungsstichwort (Thema)

Kündigung in der Insolvenz aufgrund eines Interessenausgleichs mit Namensliste. Wegfall der Vermutungswirkung der Betriebsbedingtheit der Kündigung gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO bei wesentlicher Änderung der Sachlage bis zum Ausspruch der Kündigung gemäß § 125 Abs. 1 Satz 2 InsO. hier: Weiterbeschäftigungsmöglichkeit eines Großteils der Arbeitnehmer durch einen Dritten

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die gem. § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 InsO zu vermutende Betriebsbedingtheit der Kündigung entfällt, wenn sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert hat.

2. Die Sachlage muss sich nach dem Zustandekommen des Interessenausgleichs so wesentlich geändert haben, dass von einem Wegfall der Geschäftsgrundlage auszugehen ist.

 

Normenkette

KSchG § 1 Abs. 2 S. 4, § 17 Abs. 3 S. 4; InsO § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, S. 2; BGB § 613a Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Dortmund (Urteil vom 22.08.2008; Aktenzeichen 2 Ca 712/08)

 

Nachgehend

BAG (Aktenzeichen 6 AZN 716/09)

 

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 22.08.2008 – 2 Ca 712/08 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger will mit seiner am 27.11.2007 beim Arbeitsgericht Gelsenkirchen eingegangenen und an das Arbeitsgericht Dortmund verwiesenen Klage feststellen lassen, dass das Arbeitsverhältnis durch die auf der Grundlage eines Interessenausgleichs mit Namensliste in der Insolvenz ausgesprochene Kündigung des Beklagten vom 12.11.2007 nicht zum 29.02.2008 aufgelöst worden ist.

Der am 04.01.1960 geborene Kläger, der verheiratet ist und zwei Kinder hat, war bei der in D2 ansässigen D1-H1 GmbH, einer Bergbau-Spezialgesellschaft, seit dem 01.10.1987 als Kolonnenführer, Maschinenführer und Hauer unter Tage gegen einen monatlichen Verdienst von zuletzt 3.200,00 Euro brutto tätig. Der Kläger ist Inhaber des Bergmannsversorgungsscheins und Mitglied des bei der Insolvenzschuldnerin gebildeten Betriebsrats.

Am 01.06.2007 wurde über das Vermögen der D1-H1 GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Nachdem zuvor das Personal der Insolvenzschuldnerin durch vorangegangene Betriebsänderungen erheblich reduziert worden war, schloss der Beklagte mit dem Betriebsrat am 26.09.2007 einen Interessenausgleich über die Stilllegung des Untertagebetriebes und Einstellung des operativen Geschäftes der Insolvenzschuldnerin zum 31.12.2007. Dem Interessenausgleich ist eine Namensliste beigefügt, auf der sich auch der Name des Klägers befindet. Der Beklagte hat dazu vorgetragen, nach der zunächst geplanten Fortführung des personell reduzierten Betriebes habe sich auch aufgrund der tatsächlichen Auftragsentwicklung eine wirtschaftliche Fortführung des Betriebes als unmöglich erwiesen. Er habe sich daher Anfang September 2007 entschlossen, den Betrieb der Insolvenzschuldnerin zum 31.12.2007 einzustellen. Die Arbeitsverhältnisse sämtlicher Mitarbeiter seien gekündigt worden. Die Kündigungen seien mit Schreiben vom 27.09.2007 ausgesprochen worden. Soweit behördliche Zustimmungen erforderlich gewesen seien, seien die Kündigungen umgehend nach Erteilung der Zustimmung ausgesprochen worden. Nach der Betriebseinstellung werde das Betriebsvermögen der Insolvenzschuldnerin verwertet. Die Mietverträge seine bereits gekündigt worden, soweit nicht noch Räumlichkeiten für Abwicklungsarbeiten benötigt würden.

Nachdem das Versorgungsamt Gelsenkirchen der Kündigung des Klägers am 07.11.2007 zugestimmt hatte, sprach der Beklagte am 12.11.2007 die fristgemäße Kündigung zum 29.02.2008 aus. Gegen den Zustimmungsbescheid des Versorgungsamtes hat der Kläger Widerspruch eingelegt.

Der Kläger meint, in Folge seines Widerspruchs sei der angefochtene Verwaltungsakt, die Zustimmung des Versorgungsamtes Gelsenkirchen, nicht vollziehbar. Wegen des Fortbestehens der aufschiebenden Wirkung sei die Kündigung schon deshalb unwirksam. Im Übrigen rügt der Kläger die nicht ordnungsgemäße soziale Auswahl und macht geltend, die Kündigung sei auch wegen fehlerhafter Massenentlassungsanzeige unwirksam. Der Kläger bestreitet die Stilllegung des Betriebes. Er hat vorgetragen, der Beklagte habe zwischenzeitlich eine neue Bergbau-Spezialgesellschaft unter der Firmenbezeichnung „Firma R1-L1 GmbH” gegründet und sich an dieser beteiligt. Diese Bergbau-Spezialgesellschaft, die exakt die gleichen Tätigkeiten verrichte, die früher auch die Insolvenzschuldnerin ausgeübt habe, habe ihren Betrieb mit Wirkung zum 01.10.2007 aufgenommen, so dass die Kündigung gegen § 613 a Abs. 4 BGB verstoße.

Die Bundesagentur für Arbeit hatte dem Beklagten am 26.09.2007 mitgeteilt, dass die Anzeige der Entlassungen gemäß § 17 KSchG am 26.09.2007 bei der Agentur eingegangen sei und die in § 18 Abs. 1 KSchG festgesetzte Sperrfrist von einem Monat mit dem 26.10.2007 ende. Die Kündigungen könnten unmittelbar nach Eingang der Anzeige bei der Agentur für Arbeit ausgesprochen werden.

Der Kl...

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