Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitskampf, Warnstreik, Selektivaussperrung, Abwehraussperrung, Zulässigkeit des Kampfmittels, Übermaßverbot, Maßregelungsverbot

 

Leitsatz (amtlich)

Die Abwehraussperrung nur der Streikteilnehmer eines Warnstreiks ist jedenfalls dann ein zulässiges Arbeitskampfmittel, wenn der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet ist und die Aussperrung vor Beginn des Warnstreiks beschlossen und bekannt gemacht worden ist.

Die vorgenommene Selektion verletzt weder den Gleichbehandlungsgrundsatz noch stellt sie eine unzulässige Maßregelung im Sinne des § 612 a BGB dar, weil sie arbeitskampfbedingt gerechtfertigt ist.

Die zuvor angekündigte Aussperrung der Streikenden verfolgt das arbeitskampfbedingte Ziel, den Druck auf die Arbeitnehmer zu verstärken, vom Streik abzusehen und so die Streikfolgen für den Betrieb zu mindern und die Wirksamkeit des Arbeitskampfmittels der Gegenseite zu schwächen.

 

Normenkette

GG Art. 9 Abs. 3; BGB § 611 Abs. 1, § 612a

 

Verfahrensgang

ArbG Bocholt (Entscheidung vom 01.03.2001; Aktenzeichen 1 Ca 2245/00)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bocholt vom 01.03.2001 – 1 Ca 2245/00 – wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung werden dem Kläger auferlegt.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beklagte ist ein Unternehmen der Textilindustrie. Sie beschäftigt ca. 90 Arbeitnehmer und ist Mitglied des Verbandes der N4xx-W4xxxxxxxxxxx T1xxxxxxxxxxxxx e.V. Der am 01.02.12xx geborene Kläger ist seit dem 04.11.1968 als Facharbeiter im Betrieb der Beklagten in V1xxxx tätig. Sein Bruttostundenlohn betrug zuletzt 27,13 DM. Der Kläger ist der Vorsitzende des im Betrieb der Beklagten gewählten Betriebsrats und Mitglied der Gewerkschaft IG Metall.

Im Rahmen der sog. Tarifrunde 2000 der Textilindustrie fasste der Hauptausschuss des Verbandes der N4xx-W4xxxxxxxxxxx T1xxxxxxxxxxxxx e.V. auf seiner Sitzung am 21.08.2000 folgenden Beschluss über etwaige Abwehrmaßnahmen:

„Arbeitskampfmaßnahmen in Form von Streiks (auch sogenannte Warnstreiks), die im Zuge der Tarifauseinandersetzung in der N4xx-W4xxxxxxxxxxx T1xxxxxxxxxxxxx von der Industriegewerkschaft Metall durchgeführt werden, können mit Aussperrungen (einschl. sog. Abwehraussperrungen) beantwortet werden.

Der Verband empfiehlt, kurzfristige Streiks mit einer Aussperrung zu beantworten.

Der Vorsitzende oder einer seiner Stellvertreter zusammen mit dem Leiter der Tarifkommission und zusammen mit dem Hauptgeschäftsführer werden ermächtigt, alle zur Durchführung der Abwehraussperrung erforderlichen Entscheidungen zu treffen, insbesondere hinsichtlich Auswahl der Mitgliedsfirmen, des Umfangs und Zeitpunkts dieser Abwehrmaßnahmen.”

Im Anschluss an die Sitzung des Hauptausschusses am 21.08.2000 kamen der Verbandsvorsitzende S4xxxxx, der Leiter der Tarifkommission B3xxxxxxx und der Hauptgeschäftsführer des Textilverbandes D1. G4xxx zu einer Unterredung zusammen, deren Gegenstand die Konkretisierung des Beschlusses des Hauptausschlusses war. Das Gremium entschied, die Mitgliedsfirmen aufzurufen, Warnstreiks der IG Metall mit Abwehraussperrungen in folgendem Umfang zu beantworten:

  • „Aussperrung der Teilnehmer der Streikmaßnahme und
  • Dauer der Aussperrungsaktion im Verhältnis 1 (Streik) zu 2 (Aussperrung)”

Dieser Beschluss wurde auch durchgeführt.

Am Mittwoch, dem 06.09.2000, wurden die Arbeitnehmer der Beklagten durch Aushang im Betrieb der Beklagten gegen 16.30 Uhr von der IG Metall zu einem Warnstreik aufgerufen, der am 07.09.2000 von 11.25 Uhr bis 11.55 Uhr stattfinden sollte.

In dem Aufruf (Bl. 21 d.A.) heißt es u.a.:

„Aufruf zum Warnstreik

am: 07.09.2000

um: 11.25 bis 11.55 Uhr

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

am 29. August 2000 sind in B4x N5xxxxx die zentralen Tarifverhandlungen von der IG Metall abgebrochen worden, weil die Arbeitgeber eine Verhandlungslösung blockierten.

Die Arbeitgeber wollen von Euch:

  • • eine tarifliche Möglichkeit, die Einkommen betrieblich abzusenken,
  • • die Jahressonderzahlung soll es nicht mehr tariflich garantiert, sondern nur noch betrieblich nach Ertragslage geben,
  • • für Neueingestellte soll es noch niedrigere Löhne geben, als bisher in den unteren Lohngruppen.

Diesen Arbeitgeberforderungen und ihrem Einkommensangebot stellen wir unsere Forderungen gegenüber:

  • • für Tarifverbesserungen in Höhe von 5 Prozent,
  • • für höhere Löhne, Gehälter und Ausbildungsvergütungen,
  • • für einen Rechtsanspruch auf Altersteilzeit, eine Übernahme von Ausgebildeten, ein Recht auf Teilzeit
  • • und gegen Verschlechterungen unserer Tarifverträge durch Lohnabbau, wie die Arbeitgeber dies wollen.

Deshalb rufen wir Euch auf, durch Warnstreiks der Arbeitgeberseite zu zeigen, dass wir bereit sind, für unsere Forderungen einzutreten.

Also, keine Angst – Mut zur Demokratie!

Warnstreiks sind unser gutes Recht. Wer an Warnstreiks teilnimmt, handelt demokratisch und legitim.”

Die Beklagte veröffentlichte am Morgen des 07.09.2000 ihrerseits einen Aushang, in dem sie die Aussperrung verfügte. Der Aushang (Bl. 22 d.A.) hat folgenden...

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