Entscheidungsstichwort (Thema)

Anforderungen an die Unterrichtung der Schwerbehindertenvertretung gem. § 95 Abs. 2 S. 1 SGB IX a.F.

 

Leitsatz (amtlich)

Die Unterrichtung der Schwerbehindertenvertretung gemäß § 95 Abs. 2 Satz 1 SGB IX a. F. (ab 01.01.2018: § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX) ist nur dann unverzüglich und die Anhörung derselben, gemäß § 95 Abs. 2 Satz 1 SGB IX a. F. nur dann ordnungsgemäß, wenn beide zeitlich vor der Stellung des Zustimmungsantrags nach den §§ 85 ff SGB IX a. F. (ab 01.01.2018; §§ 168 ff SGB IX) vorgenommen werden).

 

Normenkette

SGB IX a.F. § 95 Abs. 2 S. 1 (ab 01.01.2018: SGB IX § 178 Abs. 2 S. 1, S. 3 (ab 01.01.2018: SGB IX § 178 Abs. 2 S. 3; BGB § 626 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Münster (Entscheidung vom 13.03.2018; Aktenzeichen 1 Ca 1230/17)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das am 13.03.2018 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Münster - 1 Ca 1230/17 - abgeändert.

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die Kündigung der Beklagten vom 19.07.2017 noch durch die Kündigung der Beklagten vom 05.09.2017 aufgelöst ist.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte zu 3/4, der Kläger zu 1/4.

Die Revision wird für die Beklagte zugelassen. Für den Kläger wird die Revision nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die rechtliche Wirksamkeit zweier arbeitgeberseitiger Kündigungen und die Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte des Klägers.

Der 1965 geborene, schwerbehinderte Kläger ist seit dem 1988 bei der Beklagten beschäftigt, zuletzt als Anlagenführer zu einem durchschnittlichen Bruttomonatsentgelt von 3.200,00 Euro. Die Beklagte beschäftigt regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer, ausschließlich der zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden die Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens Anwendung.

Mit Schreiben vom 19.07.2017, dem Kläger am selben Tag zugegangen, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos. Das zuständige Integrationsamt hatte zuvor mit Bescheid vom 17.07.2017, der Beklagten am selben Tag zugegangen, die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung erteilt.

Dem Kündigungsschreiben vom 19.07.2017, unterzeichnet von dem Personalleiter der Beklagten, W, war eine Vollmachtsurkunde nicht beigefügt. Der Kläger ließ aus diesem Grund mit Schreiben vom 20.07.2017 die Zurückweisung der Kündigung erklären.

Mit Schreiben vom 05.09.2017 sprach die Beklagte hilfsweise eine ordentliche Kündigung zum 30.04.2018 aus, nachdem das Integrationsamt auch insoweit die Zustimmung erteilt hatte.

Am 19.06.2017 ergab sich im Rahmen der Spätschicht im Bereich Emaillierung, in dem auch der Kläger eingesetzt war, ein Personalengpass. Der zuständige Teamleiter, der Zeuge S, bat daher den weiteren Teamleiter, den Zeugen Z, um personelle Unterstützung. Es wurde in der Folge ein Leiharbeitnehmer aus dem Team des Zeugen Z, nämlich der Zeuge L, im Team des Zeugen S eingesetzt. Dort war dieser gemeinsam mit dem Kläger und einem weiteren Mitarbeiter, dem Zeugen N, im Bereich der so genannten PC-Beschichtung tätig. Der Zeuge L ist türkischer Abstammung. Er und der Kläger kannten einander vor dem 19.06.2017 nicht. Am 19.06.2017 kam es zwischen dem Kläger und dem Zeugen L zu einem Wortwechsel, dessen Inhalt zwischen den Parteien streitig ist. Der Zeuge L hat insoweit gegenüber der Beklagten angegeben, der Kläger habe ihm das Gefühl geben wollen, er sei dumm.

Am darauffolgenden Tag arbeitete der Zeuge L gemeinsam mit dem Kläger und dem Zeugen N wiederum im Bereich der so genannten PC-Beschichtung. An diesem Tag hatte der Kläger im Betrieb die abgebrochene, etwa 2,5 cm lange Klinge eines so genannten Cuttermessers gefunden. Der Kläger hielt die Klinge in der Hand und sprach dabei mit dem Zeugen L. Die Einzelheiten dieser Situation sind zwischen den Parteien streitig. Der Zeuge N stand in unmittelbarer Nähe, als es zu dem Gespräch zwischen dem Kläger und dem Zeugen L kam.

Am 21.06.2017 berichtete der Zeuge L seinem Vorgesetzten, dem Zeugen Z, was sich am Vortag zwischen ihm und dem Kläger zugetragen hatte. Der Zeuge Z hielt sodann Rücksprache mit dem Zeugen S, dem Vorgesetzten des Klägers. Letzterer setzte den Zeugen L sodann in einem anderen Bereich ein, um einen direkten Kontakt zu dem Kläger zu vermeiden.

Am 22.06.2017 befragten der Personalleiter W, der zuständige Meister M und der Vorgesetzte des Klägers, S, den Kläger zu dem Vorfall vom 20.06.2017. Der Kläger verhielt sich zunächst abwartend und sagte dann: "Ach das mit der Klinge oder was? Die lag auf dem Wagen, ich habe die da weggenommen." Sodann zeigte er an seinem Arm eine Bewegung, die ein Aufritzen des Armes bildlich darstellen sollte und gab an, er habe am 20.06.2017 gesagt: "Soll ich mir jetzt in den Arm schneiden? Warum liegt die Klinge hier?" Zudem gab der Kläger an, am Ende hätten er und der Kollege N gelacht und seien wieder an die Arbeit gegangen.

Am 22.06.2017 wurden...

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