Entscheidungsstichwort (Thema)

Aufnahme freiwillig ausscheidender Arbeitnehmer in Namensliste. Zum Entfallen der Vermutungswirkung. Fehler bei Sozialauswahl. Kausalität eines Auswahlfehlers

 

Leitsatz (amtlich)

1. In eine Namensliste eines Interessenausgleichs nach § 1 Abs. 5 KSchG dürfen ausschließlich Arbeitnehmer aufgenommen werden, die aus der eigenen Sicht der Betriebsparteien aufgrund der dem Interessenausgleich zu Grunde liegenden Betriebsänderung zu kündigen sind. Werden andere, etwa zum freiwilligen Ausscheiden bereite Arbeitnehmer aufgenommen, entfallen die Vermutungswirkungen des § 1 Abs. 5 KSchG.

2. Umstände wie die einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit anderen, an sich schutzwürdigeren und auf der Namensliste genannten Arbeitnehmer sind für die Kausalität eines Fehlers bei der Sozialauswahl dann beachtlich, wenn sie bereits bei dem Ausspruch der Kündigung vorlagen. Eine auf einen anderen Stichtag vorverlagerte Prüfung ist insoweit unzulässig. Denn der Arbeitgeber ist nicht zu irgendeiner Sozialauswahl, sondern zu einer solchen zum maßgeblichen Zeitpunkt und unter Zugrundelegung der zu diesem bestehenden, tatsächlichen Verhältnisse verpflichtet. Dagegen spricht nicht, dass die Berechnung von Alter und Betriebszugehörigkeit zur Erstellung der Auswahlliste zu einen festen Stichtag zulässig ist (BAG 6. Juli 2006 - 2 AZR 443/05 - NZA 2007, 197, 203 Rn. 59). Dieser Gesichtspunkt trägt lediglich für die Feststellung der Sozialdaten Alter und Betriebszugehörigkeit zu einem Stichtag.

3. Für andere Sozialdaten als das Alter und die Betriebszugehörigkeit ist nicht auf einen Stichtag, sondern auf den Zeitpunkt der Kündigung abzustellen. Die von den faktisch notwendigen Abläufen der Sozialauswahl im Verfahren des Interessenausgleichs mit einer Namensliste und der Betriebsratsanhörung vor der Kündigung nahegelegte Vorverlegung der Ermittlung des Alters und der Betriebszugehörigkeit kann zumindest hinsichtlich des Familienstandes und der Unterhaltspflichten den an sich maßgeblichen Zeitpunkt des Standes dieser Daten, nämlich den Zeitpunkt der Abgabe der Kündigungserklärung, nicht weiter verändern, als diese vorhergehenden Abläufe es erfordern und auch nur soweit die Grundsätze der Sozialauswahl nicht wesentlich beeinträchtigt werden. Sonst würde entgegen § 1 Abs. 3 KSchG die Sozialauswahl letztlich zeitlich und auch inhaltlich von der Kündigung entkoppelt.

 

Normenkette

KSchG § 1 Abs. 5, 3; BetrVG § 112 Abs. 3 S. 3; KSchG § 17

 

Verfahrensgang

ArbG Hagen (Westfalen) (Entscheidung vom 07.05.2013; Aktenzeichen 5 Ca 2573/12)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hagen vom 07.05.2013, Az. 5 Ca 2573/12, wird zurückgewiesen.

Der Beklagten werden die Kosten des Berufungsverfahrens auferlegt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer ordentlichen, arbeitgeberseitigen Kündigung und einen Weiterbeschäftigungsanspruch.

Die Beklagte ist ein Unternehmen der Automobilzulieferer-Industrie. Sie unterhält in Deutschland zwei Produktionsstätten, eine in P mit zuletzt ca. 270 Arbeitnehmern und eine in I mit zuletzt 351 Arbeitnehmern. Für jedes der Werke amtiert ein Betriebsrat, ein Gesamtbetriebsrat wurde eingerichtet.

Der 1967 geborene Kläger ist geschieden und seit dem 12.09.2011 mit einer anderen Ehefrau neu verheiratet, die mit dem gemeinsamen, am 27.09.2012 geborenen Kind B bis in das Jahr 2013 noch in der Türkei wohnte. Ein Kinderfreibetrag ist auf seiner Lohnsteuerkarte für seine bei ihm lebende Tochter S eingetragen. Außerdem sind dem Kläger jeweils 0,5 Freibeträge für die beiden bei seiner geschiedenen Ehefrau wohnenden Kinder N und N1 steuerrechtlich zugeordnet.

Der Kläger wurde von der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin ab dem 15.10.1988 für den gewerblichen Bereich eingestellt und in deren Werk in P eingesetzt, u. a. als Verpacker in der Lackieranlage und zuletzt im Bereich "Fertigung Stabilisatoren - Endfertigung" bei einer Eingruppierung in die Entgeltgruppe E04A. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden die Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie in Nordrhein - Westfalen Anwendung. Der Kläger erzielte einen durchschnittlichen Monatsverdienst in Höhe von 3.320,00 € brutto.

Am 19.09.2012 schlossen die Beklagte und der Gesamtbetriebsrat im Rahmen eines Einigungsstellenverfahrens einen Interessenausgleich nebst Namensliste ab, durch Spruch der Einigungsstelle wurde ein Sozialplan nebst Ergänzungsvereinbarung geschaffen. Der Kläger ist in der das Werk P betreffenden Namensliste unter der Personalnummer 12345 nebst Geburtsdatum und der Angabe "Fert. Stabis - Endfertigung" namentlich genannt.

Der Interessenausgleich sieht unter § 3 die Reduzierung des Personalbestandes bei der Beklagten um 179 Arbeitnehmer vor, davon 114 am Standort I und 65 am Standort P.

§ 5 des Interessenausgleichs lautet u.a.:

§ 5

Sozialauswahl

Bei der Durchführung wird unterschieden zwischen Beschäftigten in direkten und indirekten Bereichen. In ...

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