Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsübergang in der Insolvenz. Abfindungsvergleich mit dem Erwerber. Fortsetzung des Klageverfahrens gegen den Veräußerer. Interessenausgleich mit Namensliste. Massenentlassungsanzeige. Betriebsratsanhörung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der „widerspruchslose” Übergang des Arbeitsverhältnisses gemäß § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB kann nicht nachträglich zu Lasten des Betriebsveräußerers durch einen rückwirkenden Aufhebungsvertrag mit dem Betriebserwerber aufgehoben werden.

2. Bei Zustandekommen eines Interessenausgleichs mit Namensliste hat der Arbeitnehmer bei einer Betriebs(teil-)veräußerung im Insolvenzverfahren eine „doppelte” Vermutung zu entkräften, nämlich

  • daß die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses nicht wegen des Betriebsübergangs erfolgt ist (§ 128 Abs. 2 InsO) und
  • daß die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist (§ 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO).

Der Arbeitnehmer muß in einem solchen den Vollbeweis dafür erbringen, daß die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses nicht „auf anderen Gründen” (§ 613a Abs. 4 Satz 2 BGB) – bspw. auf einem Sanierungs- oder Reorganisationskonzept – beruht, sondern einen Verstoß gegen § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB darstellt.

3. Der Interessenausgleich nach § 125 Abs. 1 InsO entbindet den Insolvenzverwalter nicht von der Pflicht, den Betriebsrat gemäß § 102 Abs. 1 BetrVG zu den beabsichtigten Kündigungen anzuhören. In dem Interessenausgleich kann aber zum Ausdruck gebracht werden, daß der Insolvenzverwalter gleichzeitig das Anhörungsverfahren bezüglich der in der Namensliste angegebenen Personen einleitet und der Betriebsrat hinsichtlich aller Kündigungen eine abschließende Stellungnahme abgibt.

4. Die Namensliste im Sinne des § 125 Abs. 1 InsO muß vor Ausspruch der Kündigung und zeitgleich mit dem Interessenausgleich vereinbart werden.

 

Normenkette

BGB § 613a; ZPO § 256 Abs. 1, § 265 Abs. 2; ZPO analog §§ 239, 242; InsO § 125 Abs. 1, § 128 Abs. 2; KSchG §§ 17-18; BetrVG § 102 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Minden (Urteil vom 15.11.2001; Aktenzeichen 3 Ca 310/01)

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Minden vom 15.11.2001 (3 Ca 310/01) abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 3.681,30 EUR festgesetzt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Rechtswirksamkeit einer ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin durch den Beklagten.

Der Beklagte ist durch Beschluß des Amtsgerichts Bielefeld vom 26.10.2000 (43 IN 589/00) zunächst zum vorläufigen Insolvenzverwalter und durch weiteren Beschluß vom 01.01.2001 (43 IN 589/00) dann auch zum endgültigen Insolvenzverwalter über das Vermögen der Firma G1xx. S2xxxxxx GmbH & Co. KG, einer Möbelherstellerin aus B2x O1xxxxxxxx, bestellt worden.

Der am 08.02.1942 geborene, verheiratete Klägerin war bei der Insolvenzschuldnerin, bei der zuletzt noch 80 Arbeitnehmer beschäftigt waren, seit dem 24.08.1977 als Telefonistin zu einem monatlichen Bruttoentgelt von zuletzt 2.400,00 DM tätig.

Am 22.12.2000 schlossen die Insolvenzschuldnerin und der Beklagte als vorläufiger Insolvenzverwalter mit dem von der Belegschaft gewählten Betriebsrat einen Interessenausgleich, in dem unter Ziff. 2 die Verfahrenseröffnung für den 01.01.2001 ins Auge gefaßt wird und in dem es dann unter Ziff. 3 weiter heißt:

Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens sollen die vorliegenden Aufträge soweit wie möglich abgearbeitet werden. Dazu haben der vorläufige Insolvenzverwalter und der Betriebsrat ausführlich über die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gesprochen, die ab Insolvenzeröffnung im Rahmen der Aufarbeitung bis auf weiteres weiter beschäftigt werden. Das Aufarbeitungskonzept sieht vor, daß nicht sämtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weiter beschäftigt werden können, sondern aus betriebswirtschaftlichen Gründen folgende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ab 01.01.2001 von der Erbringung der Arbeitsleistung freigestellt werden:

L2xxxx, W7xxxxxx

Nach Verfahrenseröffnung schlossen der Beklagte und der Betriebsrat zunächst am 17.01.2001 einen Interessenausgleich, in dem es u.a. heißt:

2. Während des Insolvenzeröffnungsverfahrens und auch bei Unterzeichnung dieses Interessenausgleichs läuft die Produktion des Betriebes weiter, um die Möglichkeiten einer übertragenden Sanierung des Unternehmens abzuklären und die vorhandenen Aufträge abzuarbeiten. Es wird mit zwei verschiedenen Interessentengruppen verhandelt. Über die wesentlichen Einzelheiten ist der Betriebsrat unterrichtet worden.

3. Sollte bis zum 26.01.2001 eine Betriebsveräußerung und/oder übertragende Sanierung nicht erfolgt sein, wird der Betrieb abgewickelt werden müssen.

4. Ausgehend von dieser Situation haben sich der Betriebsrat und der Insolvenzverwalter darauf geeinigt, daß die derzeit bestehenden Arbeitsverhältnisse mit sämtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unter Einhaltung der ...

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