Entscheidungsstichwort (Thema)

Fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses wegen Beleidigung eines türkisch-stämmigen Arbeitskollegen

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Grobe Beleidigungen von Arbeitskollegen, die nach Form und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung für den Betroffenen bedeuten, können einen erheblichen Verstoß des Arbeitnehmers gegen seine Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis darstellen und an sich eine außerordentliche fristlose Kündigung rechtfertigen.

2. Jedoch ist der Arbeitgeber grundsätzlich gehalten, anstelle der fristlosen Kündigung eine Abmahnung zu erteilen, wenn es sich um einen einmaligen Vorfall handelt.

 

Normenkette

BGB § 626 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Bochum (Entscheidung vom 29.09.2016; Aktenzeichen 2 Ca 816/16)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom 29.09.2016 - 2 Ca 816/16 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die rechtliche Wirksamkeit mehrerer außerordentlicher, hilfsweise fristgerecht erklärter Kündigungen.

Der 1966 geborene, ledige Kläger ist seit 1991 bei der Beklagten, die regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer in Vollzeit beschäftigt, als Maschinenbediener zu einem durchschnittlichen Bruttomonatsentgelt von zuletzt 3.360,00 EURO tätig. Seit 2014 weist er einen Grad der Behinderung von 50 auf.

Am 19.05.2016 wollte der Mitarbeiter L den türkischstämmigen Mitarbeiter N gegen 11.30 Uhr zur Pause ablösen. Letzterer teilte jedoch mit, dass er aktuell noch nicht zur Pause abgelöst werden wolle; er warte auf den Kollegen K. Daraufhin begab sich der Mitarbeiter L zum Kläger, der in unmittelbarer Nähe des Mitarbeiters N arbeitete, um diesen zur Pause abzulösen. Der Kläger teilte dem L ebenfalls mit, es sei ihm für eine Ablösung zur Pause noch zu früh. L stellte sich nun zwischen beide anderen Mitarbeiter und äußerte, er fühle sich "verarscht". Er teilte weiter mit, dass einer der beiden in die Pause gehen müsse. Es erklärte sich sodann der Kläger bereit, in die Pause zu gehen. Als er an dem Mitarbeiter N vorbeiging, sagte er, ohne dass es zwischen diesen beiden unmittelbar zuvor irgendeine Auseinandersetzung gegeben hätte, entweder "scheiß Türke" (so die Beklagte) oder "kleiner Dreckstürke" (so der Kläger).

Direkt anschließend entschuldigte sich der Kläger bei dem Kollegen N, der jedoch die Entschuldigung nicht annahm. Des Weiteren unterrichtete der Kläger sodann seinen Vorgesetzten, D, über den Vorfall und erklärte, dass ihm das leid tue. Auf Nachfrage bei dem Mitarbeiter N erklärte dieser dem Vorgesetzten, dass es sich bereits um den dritten Vorfall dieser Art gehandelt habe. Der Arbeitnehmer N war auch am darauffolgenden Tag nicht bereit, die Entschuldigung des Klägers anzunehmen. Er äußerte, er fühle sich stark gekränkt; es habe sich bereits um den dritten Vorfall gehandelt. Er sei in über 20 Jahren in Deutschland noch nie so beleidigt worden.

Daraufhin informierte der Vorgesetzte D am 20.05.2016 den Verwaltungsleiter der Beklagten, S. Dieser hörte zunächst am 24.05.2016 den Mitarbeiter N an sowie anschließend den Kläger im Beisein des Betriebsleiters Y und des Betriebsratsmitglieds T.

Unter dem 25.05.2016 beantragte die Beklagte beim Integrationsamt die Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen, fristlosen Tat-, hilfsweise zur außerordentlichen fristlosen Verdachtskündigung, hilfsweise zur ordentlichen, fristgerechten Tat- bzw. zur ordentlichen fristgerechten Verdachtskündigung unter Einhaltung der tarifvertraglichen Kündigungsfrist. Am selben Tag hörte die Beklagte auch den bei ihr gebildeten Betriebsrat zu diesen beabsichtigten Kündigungen an. Der Betriebsrat erklärte mit Schreiben vom 30.05.2016, dass er auf sein Widerspruchsrecht verzichte, sich aber intern nicht einig sei, ob nicht bei diesem Grenzfall eine Abmahnung das richtige Mittel sei.

Mit Schreiben vom 30.05.2016, 08.06.2016 und 28.06.2016 kündigte die Beklagte das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis jeweils außerordentlich fristlos sowie hilfsweise ordentlich fristgemäß.

Mit Schreiben vom 07.06.2016, den Bevollmächtigten der Beklagten am selben Tag zugestellt, erteilte das Integrationsamt zunächst die Zustimmung zur außerordentlichen Tat- und Verdachtskündigung sowie mit weiterem Schreiben vom 07.06.2016, den Prozessbevollmächtigten der Beklagten zugegangen am 15.06.2016, die Zustimmung zur hilfsweise erklärten ordentlichen Tat- und Verdachtskündigung.

Mit seiner am 03.06.2016 eingegangenen und unter dem 10.06.2016 erweiterten Klage hat sich der Kläger zunächst gegen die Kündigungen vom 30.05. sowie vom 08.06.2016 gewehrt und darüber hinaus seine Weiterbeschäftigung geltend gemacht. Mit einer weiteren, am 06.07.2016 eingegangenen Klage hat sich der Kläger auch gegen die Kündigung vom 28.06.2016 gewandt (Arbeitsgericht Bochum, 2 Ca 1015/16).

Der Kläger hat gemeint, ein Kündigungsgrund liege nicht vor. Er habe den Kollegen N nicht grob fremdenfeindlich beleidigt. Zu berücksichtigen sei insbesondere, d...

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