Entscheidungsstichwort (Thema)

Einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung, nicht zu ersetzender Nachteil

 

Leitsatz (amtlich)

Bringt der Vollstreckungsschuldner durchgreifende materielle Einwendungen gegen den titulierten Anspruch (hier: Ausspruch einer Folgekündigung als Einwendung gegen den titulierten Weiterbeschäftigungsanspruch) im Rahmen eines Antrags auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung gemäß § 62 Abs. 1 Satz 3 ArbGG vor, so hat der Antrag, auch falls kein nicht zu ersetzender Nachteil ersichtlich ist, jedenfalls dann Erfolg, wenn der Vollstreckungsschuldner gegen die vorläufig vollstreckbare Entscheidung Berufung eingelegt hat und die materiellen Einwendungen erst nach Ablauf der Berufungsfrist entstanden sind. Es wäre nicht interessengerecht, dass der Vollstreckungsschuldner die Berufung teilweise zurücknehmen und eine Klage gemäß § 767 Abs. 1 ZPO erheben müsste, um dann einen Antrag auf Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 769 Abs. 1 Satz 1 stellen zu können.

 

Normenkette

ArbGG § 62 Abs. 1 S. 3; ZPO § 767 Abs. 1, § 769 Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Münster (Urteil vom 05.10.2010; Aktenzeichen 3 Ca 664/10)

 

Tenor

Die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Arbeitsgerichts Münster vom 05.10.2010 – 3 Ca 664/10 – wird einstweilen eingestellt.

 

Tatbestand

I.

Die Beklagte begehrt die vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus einem erstinstanzlichen Weiterbeschäftigungstitel.

Das Arbeitsgericht Münster hat durch Urteil vom 05.10.2010 festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 29.03.2010 aufgelöst worden ist; das Arbeitsgericht hat die Beklagte, die ein Krankenhaus führt, zur Weiterbeschäftigung des Klägers als leitender Abteilungsarzt der Neurochirurgischen Klinik bis zum rechtkräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens verurteilt. Auf die Widerklage der Beklagten ist der Kläger zur Zahlung von über 430.000 EUR nebst Zinsen verurteilt worden. Dabei handelt es sich um einen von der Beklagten geltend gemachten Anspruch auf Nutzungsentgelt (Kostenerstattung und Vorteilsausgleich) aus dem Liquidationsrecht des Klägers, der dienstvertraglich zur gesonderten Berechnung ärztlicher Leistungen berechtigt war. Die Kündigung hat die Beklagte darauf stützen wollen, dass der Kläger das vertraglich vorgesehene Nutzungsentgelt über Jahre hinweg nicht in vollständiger Höhe an die Beklagte entrichtet habe.

Die Beklagte hat gegen die arbeitsgerichtliche Entscheidung Berufung eingelegt und verfolgt im Rechtsmittelverfahren zusätzlich hilfsweise den Antrag, das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen. Zur Begründung des Auflösungsantrages führt die Beklagte aus, der Kläger komme seinen vertraglichen Zahlungspflichten weiterhin nicht nach und habe seine Schulden im Ergebnis bislang nicht abgetragen, so dass die Beklagte gezwungen sei, Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen ihn durchzuführen. Ihr sei aufgrund der vertragsfeindlichen Einstellung des Klägers nicht zuzumuten, weiter mit ihm zusammenzuarbeiten.

Mit Schreiben vom 03.11.2010 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger vorsorglich erneut außerordentlich fristlos sowie hilfsweise ordentlich zum 30.06.2011. Ausweislich des Kündigungsschreibens begründet die Beklagte diese Kündigung damit, dass der Kläger seinen Zahlungsverpflichtungen hinsichtlich des Nutzungsentgelts trotz eines vollstreckbaren Titels und erneuter Zahlungsaufforderung unter Androhung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen weiterhin nicht nachgekommen sei.

Mit Schreiben vom 01.12.2010, das dem Kläger am gleichen Tage übergeben wurde, sprach die Beklagte abermals eine fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigung aus. Die Beklagte will diese Kündigung darauf stützen, dass der Kläger Privateinnahmen aus der Behandlung von Patientinnen der Krankenhausverwaltung nicht gemeldet hat, obgleich er dazu verpflichtet sei, alle Privateinnahmen zur Berechnung der Nutzungsentgelte mitzuteilen. Die entsprechenden Abrechnungsunterlagen habe Kläger der Beklagten bewusst vorenthalten. Diese Umstände seien aufgrund einer Prüfung am 19.11.2010 zu Tage getreten.

Die Kündigung vom 03.11.2010 ist Gegenstand eines weiteren Kündigungsschutzverfahrens bei dem Arbeitsgericht Münster (3 Ca 2180/10).

Zur Durchsetzung des Weiterbeschäftigungstitels hat der Kläger mit Schriftsatz vom 25.10.2010 die Festsetzung von Zwangsmitteln gegen die Beklagte beantragt. Das Arbeitsgericht Münster hat diesem Antrag mit Beschluss vom 16.11.2010 stattgegeben und gegen die Schuldnerin ein Zwangsgeld in Höhe von 2.500 EUR, ersatzweise Zwangshaft, festgesetzt. Gegen diesen Beschluss hat die Beklagte sofortige Beschwerde eingelegt, die das Landesarbeitsgericht mit Beschluss vom 29.11.2010 zurückgewiesen hat (1 Ta 651/10).

Nach dem Ausspruch der Kündigung vom 03.11.2010 hat die Beklagte Zwangsvollstreckungsgegenklage bei dem Arbeitsgericht Münster (3 Ca 2174/10) erhoben mit dem Ziel, die Zwangsvollstreckung aus dem Weiterbeschäftigungst...

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