Entscheidungsstichwort (Thema)

Einigungsstellenbesetzung. offensichtliche Unzuständigkeit. ausreichende Bestimmung des Regelungsgegenstandes. ausreichende vorherige Verhandlungen. Betriebsvereinbarung zur Telearbeit. Streit über Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats oder des Einzelbetriebsrats. Beteiligung des Gesamtbetriebsrats. Auswahl des Vorsitzenden. Zahl der Beisitzer

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Hält ein Betriebspartner weitere Verhandlungen aufgrund des bisherigen Verhaltens der Gegenseite für aussichtslos und ruft er das Arbeitsgericht zur Einsetzung einer Einigungsstelle nach § 98 ArbGG an, so ist diese nicht deswegen offensichtlich unzuständig, weil der Verhandlungsanspruch nach § 74 Abs. 1 S. 2 ArbGG nicht oder noch nicht vollständig erfüllt worden ist. Andernfalls hätte es die verhandlungsunwillige Seite in der Hand, die Einsetzung einer Einigungsstelle längere Zeit zu blockieren.

2. Wenn nicht angenommen werden kann, dass eine offensichtliche Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats für den Regelungskomplex besteht, ist die Einigungsstelle auch nicht deshalb offensichtlich unzuständig, weil für den Regelungsgegenstand allein der Gesamtbetriebsrat zuständig wäre.

 

Normenkette

ArbGG § 83 Abs. 3, § 98; BetrVG § 50 Abs. 1, §§ 76, 87 Abs. 1 Nrn. 1-3, 6-7

 

Verfahrensgang

ArbG Münster (Beschluss vom 19.08.2011; Aktenzeichen 4 BV 30/11)

 

Tenor

Die Beschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Münster vom 19.08.2011 – 4 BV 30/11 – wird zurückgewiesen.

 

Tatbestand

A

Die Beteiligten streiten um die Einrichtung einer Einigungsstelle.

Die Arbeitgeberin ist ein Dienstleistungsunternehmen der Informationstechnologie in der Sparkassen-Finanzbranche mit Hauptsitz in Frankfurt am Main. Sie beschäftigt an den Standorten Frankfurt am Main, Fellbach, Köln, Münster, München, Nürnberg, Saarbrücken, Leipzig, Hannover und Berlin ca. 5.100 Mitarbeiter. Im Betrieb Münster sind 982 Arbeitnehmer beschäftigt.

Die Betriebe betreuen ca. 430 Sparkassen, mehrere Landesbanken, die DekaBank und 10 Landesbausparkassen.

Entstanden ist die Arbeitgeberin durch Verschmelzung der S1 I1 GmbH & Co. KG und der F1 I2 GmbH & Co. KG. Im Geschäftsbereich der vormaligen F1 I2 GmbH & Co KG gab es an den Standorten – anders als im Geschäftsbereich S1 I1 GmbH & Co. KG – kollektivrechtliche Regelungen zur Telearbeit und zum Remote Working.

Im Unternehmen der Arbeitgeberin sind jeweils örtliche Betriebsräte sowie ein Gesamtbetriebsrat errichtet. Antragsteller des vorliegenden Verfahrens ist der örtliche Betriebsrat des Standorts Münster, der aus 15 Personen besteht.

Seit längerer Zeit versucht die Arbeitgeberin, eine unternehmenseinheitliche Regelung bezüglich der Telearbeit einzuführen und verfolgt den Abschluss einer Gesamtbetriebsvereinbarung zur Telearbeit. Hierzu beauftragte sie das Frauenhofer Institut für Arbeitswissenschaft und Organisation, Telearbeit und Remote Working im Unternehmen zu begutachten. Auf der Grundlage des vom Frauenhofer Institut erstellten Gutachtens (Bl. 101 ff. d. A.) fasste die Arbeitgeberin den Entschluss, ein an Geschäftsbereichen/Organisationseinheiten orientiertes Kontingent von Telearbeitsplätzen einzurichten und unternehmenseinheitliche Regelungen für die Formen der Telearbeit mit dem Gesamtbetriebsrat zu vereinbaren. Nach Vorlage einer Gesamtbetriebsvereinbarung Telearbeit (Bl. 27 ff. d. A.) lehnte der Gesamtbetriebsrat mit Schreiben vom 27.06.2011 (Bl. 220 d. A.) Verhandlungen mit der Arbeitgeberin über den Abschluss einer Gesamtbetriebsvereinbarung zur Telearbeit ab, weil er die originäre Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats verneinte und die örtlichen Betriebsräte ihre früher vorliegenden Delegationsbeschlüsse zurückgezogen hatten.

Die Arbeitgeberin leitete daraufhin ein Einigungsstellenbesetzungsverfahren vor dem Arbeitsgericht Frankfurt am Main ein – 21 BV 578/11 –. Durch Beschluss vom 04.08.2011 (Bl. 222 ff. d. A.) wurde dem Antrag der Arbeitgeberin stattgegeben und eine Einigungsstelle zum Abschluss einer Gesamtbetriebsvereinbarung über Telearbeit eingerichtet. Zum Vorsitzenden der Einigungsstelle wurde der Präsident des Landesarbeitsgerichts E1 bestellt, die Zahl der Beisitzer wurde pro Seite auf vier festgesetzt. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Gesamtbetriebsrats zum Landesarbeitsgericht Hessen war erfolglos. Durch Beschluss vom 04.10.2011 – 4 TaBV 153/11 – wurde die Beschwerde des Gesamtbetriebsrats zurückgewiesen.

Mit Schreiben vom 18.07.2011 (Bl. 18 d. A.) forderte der antragstellende Betriebsrat die Arbeitgeberin unter Vorlage eines Entwurfs einer Betriebsvereinbarung (Bl. 19 ff. d. A.) zu Verhandlungen über den Abschluss einer Betriebsvereinbarung zum flexiblen Arbeiten am Standort Münster auf.

Die Arbeitgeberin teilte dem Betriebsrat daraufhin mit Schreiben vom 21.07.2011 (Bl. 24 d. A.) mit, dass Verhandlungen zu dieser Regelungsmaterie allein mit dem Gesamtbetriebsrat und nicht mit dem örtlichen Betriebsrat zu führen seien, einer Aufforderung zur Aufnahme von Verhandlungen werde abgelehnt...

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