Entscheidungsstichwort (Thema)

Schulung. stellvertretender Betriebsratsvorsitzender. Rhetorik. Erforderlichkeit

 

Leitsatz (redaktionell)

Ein stellvertretender Betriebsratsvorsitzender kann seine gesetzlichen Aufgaben im Fall häufiger innerbetrieblicher Diskussionen nur dann sachgerecht erfüllen, wenn er seine rhetorischen Fähigkeiten durch eine einschlägige Schulung verbessert. Die Schulungsmaßnahme ist in diesem Fall erforderlich.

 

Normenkette

BetrVG § 37 Abs. 6 S. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Siegen (Beschluss vom 30.10.2008; Aktenzeichen 1 BV 17/08)

 

Nachgehend

BAG (Beschluss vom 12.01.2011; Aktenzeichen 7 ABR 95/09)

 

Tenor

Die Beschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Siegen vom 30.10.2008 1 BV 17/08 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor wie folgt lautet:

Es wird festgestellt, dass die Teilnahme des stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden S1 an einer einwöchigen Schulungsveranstaltung „Rhetorik für Betriebsräte Teil 1”, ausgerichtet von der A3 für A4- und S5 R1-W2 GmbH, H6, erforderlich ist.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Tatbestand

A.

Die Beteiligten streiten darum, ob die Teilnahme des stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden an einem einwöchigen Rhetorikseminar erforderlich ist.

Im Bereich der Unternehmensgruppe A1 N1 mit derzeit insgesamt 35 Regionalgesellschaften betreibt die Arbeitgeberin in B2 L1 eine Regionalgesellschaft mit Lager, Fuhrpark und Verwaltung, der derzeit 75 Filialen zugeordnet sind. Insgesamt werden dort ca. 900 Arbeitnehmer beschäftigt; es besteht ein Betriebsrat (Antragsteller zu 2).

Der stellvertretene Betriebsratsvorsitzende S1 (Antragsteller zu 1), ein gelernter Schlosser, der seit dem Jahr 1970 bei der Arbeitgeberin als Kraftfahrer fungiert, war zunächst ab April 2002 Betriebsratsmitglied und gehört seit seiner Wiederwahl im April 2006 dem 13köpfigen Betriebsrat als stellvertretender Vorsitzender an. In dieser Funktion hat er in der Vergangenheit den Betriebsratsvorsitzenden bei dessen Abwesenheit vertreten. Insoweit wird hinsichtlich der Einzelheiten verwiesen auf die Aufstellung im antragstellerseitigen Schriftsatz vom 13.10.2008 (Bl. 87 f. d.A.).

Auf einer ersten Sitzung am 06.02.2008 und erneut am 05.03.2008 fasste der Betriebsrat den Beschluss, seinen stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden zu einer vom 23. bis zum 27.06.2008 stattfindenden Schulung „Rhetorik für Betriebsräte – Teil 1”, ausgerichtet von der A3 für A4- und S5, R1-W2 GmbH, zu entsenden.

Weil die Arbeitgeberin sich weigerte, die Kosten zu übernehmen, wurde mit Schriftsatz vom 30.05.2008 das vorliegende Verfahren eingeleitet, gerichtet auf die Freistellung von den zu erwartenden Kosten der konkreten Schulungsmaßnahme vom 23. bis zum 27.06.2008 und später vom 08. bis zum 12.09.2008 sowie vom 11. bis zum 15.05.2009; hilfsweise wurde u.a. allgemein die Freistellung von den Kosten des genannten Rhetorikseminars begehrt.

Das Schulungsprogramm hat folgenden Inhalt:

„Reden und Argumentieren in Sitzungen, Beratungen und Versammlungen –

I. Grundlagen

Grundlagen der Kommunikationspsychologie

Grundlagen des freien und wirksamen Redens und Argumentierens

Abbau von Redehemmungen

Körpersprachliche Signale

Umgang mit und Abbau von Nervosität

Freies Formulieren von Gedanken

Aufbau und Wirkung von Argumenten

Auseinandersetzung mit Gegenargumenten der Gesprächspartner

Effektive Fragetechniken

Umgang mit überraschenden Situationen

Argumentationskonzepte in typischen Gesprächssituationen

II. Beratung von Kolleginnen und Kollegen als Aufgabe des Betriebsrats

Schaffung eines vertrauensvollen Gesprächsklimas

Was will mein Gegenüber?

Der richtige Einstieg ins Gespräch

Gesprächsverlauf und Gesprächsende

Abbau von Hemmungen beim Ratsuchenden

III. Überzeugendes Auftreten vor Publikum

Die Rede auf der Betriebsversammlung

Grundlagen für Reden und Vorträge

Vorbereitung der Redebeiträge

Reden mit Hilfe eines Stichwortkonzeptes

Gliederung einer Überzeugungsrede

Aufbau einer Präsentation

Aufbau eines Rechenschaftsberichts

Der Anfangs- und der Schlusssatz

Gestik, Mimik, Stimme

Gewinnen von Selbstsicherheit

Einsatz visueller Hilfsmittel

Umgang mit „Störern”

IV. Grundlagen der erfolgreichen Diskussion

V. Videounterstützte Praxisübungen

Individuelle Auswertung der Videoaufzeichnung

Persönliches Feedback”

Weil die Arbeitgeberin sich weigerte, die Kosten zu übernehmen, wurde mit Schriftsatz vom 30.05.2008 das vorliegende Beschlussverfahren eingeleitet, gerichtet auf Freistellung für die zu erwartenden Kosten.

Die Antragsteller haben die Auffassung vertreten, es sei erforderlich, dass der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende an der Wochenschulung teilnehme, um der Arbeitgeberseite mit ihren rhetorisch befähigten Vertretern gewachsen zu sein. In seiner Funktion als stellvertretender Betriebsratsvorsitzender müsse er im Falle der Verhinderung des Vorsitzenden diesen vertreten und habe ihn auch in der Vergangenheit regelmäßig vertreten, namentlich in Betriebsratssitzungen. Auch müsse er vorbereitet sein, in Vertretung des Betriebsratsvorsitzenden Be...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge