Entscheidungsstichwort (Thema)

Aussetzung des Verfahrens. strafprozessuale Gefahr der Selbstbezichtigung. Keine Verpflichtung zur strafrechtlichen Selbstbelastung. Keine Aussetzung des arbeitsgerichtlichen Verfahrens bei Strafverfahren

 

Leitsatz (amtlich)

Nach strafprozessualen Grundsätzen ist niemand verpflichtet, sich selbst zu belasten (nemo tenetur se ipsum accusare). Dies rechtfertigt für sich gesehen eine Aussetzung der zivilprozessualen Verhandlung nach § 149 ZPO bis zur Erledigung des Strafverfahrens grundsätzlich nicht.

 

Normenkette

ZPO § 149; StPO §§ 154, 154a, 363

 

Verfahrensgang

ArbG Minden (Entscheidung vom 07.03.2013; Aktenzeichen 2 Ca 1705/12)

 

Tenor

Die sofortige Beschwerde des Beklagten gegen den die Aussetzung des Verfahrens ablehnenden Beschluss des Arbeitsgerichts Minden vom 07.03.2013 - 2 Ca 1705/12 - wird zurückgewiesen.

 

Gründe

I. Der Beschwerdeführer und Beklagte wendet sich mit seiner sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Minden vom 07.03.2013, mit dem sein Antrag vom 28.01.2013, das Verfahren nach § 149 ZPO auszusetzen, abgelehnt worden ist.

In der Sache streiten die Parteien um Schadensersatzansprüche, die die Klägerin vom Beklagten in einer Gesamthöhe von etwa 160.000,00 € einfordert.

Die Parteien waren arbeitsvertraglich vom 01.09.1981 bis zum 21.09.2010 verbunden. Das Arbeitsverhältnis endete durch eine von der Klägerin ausgesprochene fristlose Kündigung aufgrund eines aus ihrer Sicht gegebenen groben vertragswidrigen und auch strafbaren Verhaltens des Beklagten zu ihren Lasten. Auf dieses Verhalten stützt sie nun auch ihre Schadensersatzforderung. Sie macht geltend, der Beklagte habe während des Bestands des Arbeitsverhältnisses nicht nur für sie als Leiter für den Bereich technische Dienste gearbeitet, sondern auf der Basis einer ihm erteilten Nebentätigkeitsgenehmigung einen Elektroinstallationsbetrieb aufgebaut und aus dem Hintergrund geleitet und gesteuert, wobei er Elektrowerkzeuge, Elektroinstallationsmaterialen und andere Gegenstände auf ihre - der Klägerin - Kosten zeitweise oder dauerhaft dem von seinem Sohn geführten Betrieb unentgeltlich zur Verfügung gestellt habe.

Vor dem Amtsgericht Minden wurde unter dem dortigen Aktenzeichen 25 Ls-46 Js 210/10 - 82/11 ein Strafverfahren geführt, das gegen den Beklagten sowie dessen Sohn gerichtet war und inzwischen erstinstanzlich abgeschlossen ist. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Unter Beschränkung auf einen Teil der erhobenen Vorwürfe wurde dem Beklagten im Rahmen dieses Strafverfahrens vorgeworfen, der Klägerin in der Zeit vom 23.02.2006 bis zum 09.07.2009 durch 19 selbständige Untreuehandlungen Nachteile zugefügt zu haben.

Die Klägerin selbst führte in Abstimmung mit der Kommunalaufsicht eine umfassende Revision und interne Prüfung durch und beauftragte zu diesem Zweck einen externen Berater mit den in diesem Zusammenhang anfallenden Arbeiten. Dieser erstellte einen Schlussbericht und führte aus, der Schadensersatz wegen Untreue, Unterschlagung und Betrug zum Nachteil der Klägerin belaufe sich auf 75.398,00 €. Die Kosten der Schadensermittlung würden 79.222,32 € ausmachen. Die im Bericht genannten Schadenspositionen sind vielfältig. So macht die Klägerin u.a. Schadensersatz geltend aus einem von ihr als "Arbeitszeitbetrug" bezeichneten Fehlverhalten des Beklagten, aus der privater Nutzung von Telekommunikationseinrichtungen der Klägerin, aus der unzulässiger Nutzung eines "Plotters", der unzulässigen privaten Nutzung eines Dienstwagens, aus Vorgängen im Zusammenhang mit der Veräußerung von Dienstwagen unter Marktwert, aus der Anschaffung eines Navigationsgerätes und Kosten der Beschaffung und privaten Nutzung von Geräten und Material in erheblichem Umfang. Auf die diesbezüglichen Aufstellungen der Klägerin in ihrer Klageschrift (Bl. 10 - 59 der Akten) sowie auf den der Klageschrift beigefügten Schlussbericht (Bl. 67 - 213 der Akten) wird ergänzend Bezug genommen.

Mit Schriftsatz vom 01.02.2013 beantragte der Beklagte, das Verfahren angesichts des schwebenden Strafverfahrens vor dem Amtsgerichts Minden auszusetzen. Mit Beschluss vom 07.03.2013 lehnte das Arbeitsgericht den Antrag des Beklagten auf Aussetzung des Verfahrens ab, im Wesentlichen wie folgt:

Das Verfahren sei nicht nach § 149 ZPO auszusetzen. Das Gericht habe bei seiner Entscheidung einen Ermessensspielraum, den es ausfüllen müsse. Der Zweck der Aussetzung nach § 149 ZPO sei es, sich im zivilprozessualen Verfahren die besseren Erkenntnismöglichkeiten eines vom Amtsermittlungsgrundsatz geprägten strafprozessualen Verfahrens zu Nutze zu machen und widersprechende Entscheidungen zu vermeiden. Eine Aussetzung des Verfahrens nach § 149 ZPO sei auch dann zulässig, wenn sich der Verdacht einer Straftat nicht erst im Laufe des Rechtsstreits ergebe, sondern die behauptete Straftat - wie hier - die Klageforderung begründe. Das Gericht habe sich gegen die Aussetzung des Rechtsstreits entschieden. Die Klägerin stütze ihre Schadensersatzansprüche auf insgesamt w...

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