Entscheidungsstichwort (Thema)

Zweijährige Auslandsentsendung als vorübergehende Arbeitsverrichtung im Ausland i.S.d. Art. 8 Abs. 2 Satz 2 VO (EG) 593/2008 (Rom I-VO). Geltung des Entgelttarifvertrages auch während der zweijährigen Auslandsentsendung. Abzug tatsächlich angefallener Steuern und Sozialabgaben vom Bruttogehalt während des Auslandsaufenthalts. Hypothetisches Steuerabzugsverfahren im Günstigkeitsvergleich mit dem Bruttogehalt nach dem Tarifvertrag. Keine Einbeziehung von Sonderzahlungen oder Ausgleichsleistungen für Mehraufwand im Ausland in den Günstigkeitsvergleich

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei einer vertraglich auf zwei Jahre befristeten Entsendung in das europäische Ausland, bei der nach dem Ende des Entsendungszeitraumes die Tätigkeit bei der Arbeitgeberin in Deutschland wieder aufgenommen werden soll, handelt es sich um eine vorübergehende Verrichtung von Arbeit in einem anderen Staat im Sinne des Art. 8 Abs. 2 Satz 2 ROM IVO.

2. Sind beide Seiten tarifgebunden, so gilt im Falle einer vorübergehenden Auslandsentsendung im Sinne des Art. 8 Abs. 2 Satz 2 ROM I-VO der Entgelttarifvertrag für die Metall- und Elektroindustrie in Hamburg und Umgebung (TV Entgelt) auch für die Dauer des Entsendungszeitraumes unmittelbar und zwingend. Dem steht der Umstand nicht entgegen, dass der räumliche Geltungsbereich des TV Entgelt auf im Einzelnen genannte Regionen in Norddeutschland beschränkt ist.

3. In Fällen zwingender Tarifbindung bei vorübergehender Auslandsentsendung hat der entsandte Arbeitnehmer auch während der Dauer der Entsendung Anspruch auf die tarifliche Bruttovergütung. Vereinbaren die Parteien im Entsendungsvertrag die Anwendung eines hypothetischen Steuerabzugsverfahrens, bei dem der Arbeitgeber im Entsendungszeitraum weiterhin einen Betrag in Höhe der bei einer Weiterarbeit in Deutschland anfallenden Lohnsteuer (= hypothetische Steuer) vom Gehalt in Abzug bringt und für den Arbeitnehmer die tatsächlich im Entsendungsland anfallende (höhere oder niedrigere) Steuer zahlt, stellt dies eine Abweichung vom TV Entgelt dar. Das nach dem TV Entgelt geschuldete Bruttogehalt sieht nur den Abzug tatsächlich angefallener Steuern und Sozialabgaben vor. Die vertragliche Vereinbarung des hypothetischen Steuerabzugsverfahren ist jedenfalls dann gem. § 4 Abs. 3 TVG unzulässig und daher unwirksam, wenn sie nicht günstiger als die Regelung des Bruttogehalts nach dem TV Entgelt ist.

4. In den Günstigkeitsvergleich ist der Umstand, dass der Arbeitgeber die im Entsendungsland anfallende Steuer für den Arbeitnehmer übernimmt, einzubeziehen. Weitere dem Arbeitnehmer zustehende entsendungsbedingte Sonderzahlungen (wie z. B. Mietzuschuss, Kaufkraftausgleichszahlungen, Umzugs- und Einrichtungspauschalen u.a.), die dem Ausgleich von finanziellem Mehraufwand aufgrund der Auslandsentsendung dienen, sind im Wege des Sachgruppenvergleichs nicht einzubeziehen. Dies gilt auch für eine sog. Mobilitätszulage, die nicht der Vergütung der Arbeitsleistung als solcher dient, sondern ebenfalls an die Erbringung der Arbeitsleistung gerade im Ausland anknüpft und insoweit die Erschwernisse ausgleichen soll.

 

Normenkette

BGB §§ 611, 611a; EGV 593/2008 Art. 8 Abs. 2, Art. 3 Abs. 1 S. 1, Art. 8 Abs. 1; BGB §§ 307, 310 Abs. 4, § 362; TVG § 4; MTV Metallindustrie Hamburg und Umgebung sowie Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern § 16; TV Entgelt Metall- und Elektroindustrie Hamburg und Umgebung §§ 1, 3

 

Verfahrensgang

ArbG Hamburg (Entscheidung vom 04.02.2021; Aktenzeichen 15 Ca 90/18)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Schlussurteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 04. Februar 2021 - 15 Ca 90/18 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über Vergütung, nachdem die Beklagte im Zusammenhang mit einer zeitlich befristeten Auslandsentsendung des Klägers hypothetisch für den Kläger in Deutschland anfallende Steuern im sog. Hypotax-Verfahren von dessen Entgelt einbehalten hat.

Der Kläger ist seit dem 01. September 2006 bei der Beklagten bzw. ihren Rechtsvorgängern als Ausrüstungsmechaniker beschäftigt. Die Beklagte ist ein Unternehmen im Konzernverbund E. mit Sitz in Hamburg. Sie ist Mitglied des Arbeitgeberverbandes NORDMETALL Verband der Metall- und Elektroindustrie e.V. (nachfolgend: NORDMETALL). Der Kläger ist Mitglied der IG Metall (vgl. Bl. 339 d.A.). Der Kläger erhält eine Vergütung nach dem zwischen der IG Metall und NORDMETALL geschlossenen Entgelttarifvertrag für die Metall- und Elektroindustrie in Hamburg und Umgebung (TV Entgelt).

Der Kläger war zunächst im Betrieb der Beklagten in Deutschland tätig. Auf Grundlage eines am 29. Dezember 2016 von den Parteien zusätzlich zum Arbeitsvertrag vereinbarten Entsendungsvertrages (Anlage K 1, Bl. 9 ff. d.A.) wurde der Kläger zunächst vom 01. Februar 2017 bis zum 28. Februar 2018 zur A. O. S. in Toulouse entsandt. Diese Entsendung wurde letztlich bis zum 28. Februar 2019 verlängert. Bere...

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