Entscheidungsstichwort (Thema)

Stillschweigender Kündigungsverzicht durch Vertragsrüge. Unwirksame außerordentliche Kündigung bei Rüge pflichtwidriger Handlung durch abmahnungsberechtigten Vorgesetzten

 

Leitsatz (amtlich)

1. Durch eine Vertragsrüge, die in formeller Weise ergeht und zur Personalakte gelangt, erklärt der Arbeitgeber im Regelfall einen konkludenten Kündigungsverzicht. Eine solche Vertragsrüge begründet ebenso wie eine Abmahnung das berechtigte Vertrauen des Arbeitnehmers darauf, dass der Arbeitgeber in Bezug auf das gerügte Verhalten auf den Ausspruch einer Kündigung verzichtet.

2. Auch ein Vorgesetzter, der nur abmahnungs-, nicht aber kündigungsberechtigt ist, kann mit bindender Wirkung auf den Ausspruch einer Kündigung verzichten. Mit der Abmahnungsbefugnis geht regelmäßig die Befugnis zum Kündigungsverzicht einher.

 

Normenkette

BGB §§ 133, 157, 626, 314 Abs. 2, § 626 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Hamburg (Entscheidung vom 15.10.2014; Aktenzeichen 26 Ca 158/14)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 15. Oktober 2014 - Aktenzeichen 26 Ca 158/14 - wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers.

Der am XX.XXX geborene, verheiratete und gegenüber drei Kindern zum Unterhalt verpflichtete Kläger ist seit dem 7. August 1995 bei der Beklagten beschäftigt. Grundlage des Arbeitsverhältnisses ist der Arbeitsvertrag vom 2. August 1995 (Anlage K 1, Bl. 3 d. A.). Der Kläger erhält aufgrund seiner Eingruppierung in die EG 6 TV-L, Stufe 6 ein Bruttoentgelt in Höhe von 2.746,61 Euro monatlich. Der Kläger ist als Klempner auf dem Wirtschaftshof O. Straße beschäftigt. Sein Vorgesetzter ist der Betriebsleiter xxx, Herr L.. Mit dieser Vorgesetztenfunktion ist bei der Beklagten die Berechtigung verbunden, Abmahnungen, nicht jedoch Kündigungen auszusprechen. Kündigungsberechtigt sind für die Beklagte - soweit es das hier betroffene Bezirksamt Hamburg 1 betrifft - der Leiter des Bezirksamts in seiner Funktion als Behördenleiter, dessen ständiger Vertreter, der Dezernent des Dezernats Steuerung und Service sowie der Leiter des Fachamtes Personalservice, Herr R..

Auf dem WirtschaftshofO. Straße wird Restholz in drei unterschiedlichen Qualitäten gelagert. Die beste Qualität bilden Stämme, die zum Sägen von Brettern verwendet werden können (Nutzholz). Die zweite Holzkategorie besteht aus Material, das zum Zweck der Pellet-Herstellung verwendet wird (Pellet-Holz). Das restliche Holz, welches nicht verwertbar ist und auf dem Wirtschaftshof liegen bleibt, bildet das sog. Bruchholz. Pelletholz und Bruchholz sind nicht sauber getrennt voneinander gelagert. Zur Veranschaulichung der Lagerung wird auf zwei vom Kläger zur Akte gereichte Fotos Bezug genommen (Anlage K 5, Bl. 81 d. A.).

Am 27. Januar 2014 fragte der Kläger seinen Vorgesetzten, Herrn L., ob er das nicht mehr verwertbare Bruchholz für private Zwecke mitnehmen und verwenden könne, was Herr L. genehmigte. Ob und ggf. mit welchem Inhalt darüber hinaus über die Nutzung eines städtischen LKW für den Transport gesprochen worden ist, ist zwischen den Parteien streitig. Jedenfalls erfolgte keine ausdrückliche Genehmigung des Transports unter Verwendung eines städtischen Fahrzeugs durch Herrn L.. Der Kläger forderte in der Folge für den 31. Januar 2014 für die Zeit von 7.00 Uhr bis 9.00 Uhr den dem Fahrer Herrn B. zugeteilten und auf dem WirtschaftshofO. Straße stationierten LKW bei der zuständigen Mitarbeiterin Frau S. an. Am 30. Januar 2014 belud Herr B. den LKW kurz vor Dienstschluss mit Holz. Ob es sich dabei ausschließlich um Bruchholz handelte, ist zwischen den Parteien streitig. Am Morgen des 31. Januar 2014, etwa zwischen 7.00 Uhr und 8.30 Uhr, transportierten sodann Herr B. und der Kläger das Holz während ihrer Arbeitszeit zu der ca. 29 km entfernten Privatadresse des Klägers.

Am 5. Februar 2014 erhielt der Kläger von seinem Vorgesetzten Herrn L. ein Schreiben mit dem folgenden Inhalt:

Betr.: Verstoß gegen die Dienstvorschrift

Sehr geehrter Herr B1.,

ich bin darüber in Kenntnis gesetzt worden, dass Sie am 31.01.2014 ohne Absprache einen betriebseigenen Container zweckentfremdet haben.

Die Mitnahme von nicht verwertbarem Bruchholz wurde Ihnen von mir gestattet, mit dem ausdrücklichen Hinweis, den Transport selbst zu organisieren. Diese Handlungsweise stellt einen Verstoß gegen die Dienstvorschrift dar, wonach die Zweckentfremdung von Fahrzeugen, Maschinen und Geräten untersagt ist.

Als Ihr verantwortlicher Vorgesetzter mahne ich Sie hiermit wegen dieses Verhaltens schriftlich ab. Diese Abmahnung wird der Personalabteilung ausgehändigt. ...

Nach einer Presseberichterstattung über Unregelmäßigkeiten auf dem Bauhof des Bezirksamts Hamburg-2 sprach der ebenfalls auf dem WirtschaftshofO. Straße beschäftigte Herr S1 Herrn L. auf nach seiner Kenntnis bestehende Unregelmäßigkeiten auch auf dem Wirtsc...

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