Entscheidungsstichwort (Thema)

"Wichtiger Grund" i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB. Verletzung der Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme aus § 241 Abs. 2 BGB. Darlegungs- und Beweislast des Arbeitgebers bei konkretem Vortrag des Arbeitnehmers zu seinen Rechtfertigungsgründen. Ersatz von Ermittlungskosten bei konkretem Verdacht eines erheblichen Fehlverhaltens

 

Leitsatz (amtlich)

1. Löscht der Arbeitnehmer erforderliche betriebliche Dateien und/oder E-Mails unberechtigt und entzieht sie so dem Zugriff der Arbeitgeberin, ist ein solcher Sachverhalt grundsätzlich geeignet, einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung abzugeben. Allerdings genügt für den Vortrag der Arbeitgeberin nicht der Verweis auf Tabellen mit gelöschten Dateien und E-Mails, wenn der Arbeitnehmer sich darauf beruft, es handele sich um überholte Entwurfsfassungen und/oder die Dateien seien in den Projektordnern weiterhin vorhanden oder es handele sich um private E-Mails.

2. Das bloße Kopieren von Daten, ohne dass diese dem Zugriff der Arbeitgeberin entzogen oder anderweitig rechtswidrig verwendet werden, ist kein an sich für einen wichtigen Grund geeigneter Sachverhalt. Anders ist es, wenn der Arbeitnehmer Kopien betrieblicher Dateien, die er in seinem Besitz hat, pflichtwidrig nicht an die Arbeitgeberin herausgibt. Es ist Sache der Arbeitgeberin, einen vom Arbeitnehmer geleisteten konkreten Vortrag zu der von ihm behaupteten Rückgabe kopierter Dateien zu widerlegen und ggf. zu beweisen.

3. Ein Anspruch auf Ersatz erforderlicher Ermittlungskosten setzt voraus, dass zum Zeitpunkt der Durchführung der jeweiligen Ermittlungsmaßnahmen ein konkreter Verdacht eines erheblichen Fehlverhaltens gegen den Betroffenen besteht.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Bei einer fristlosen Kündigung ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände "an sich", d. h. typischerweise, als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der Umstände des Falles jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht. Das Löschen betrieblicher Dateien und Emails kann einen wichtigen Grund darstellen.

2. Dem Arbeitnehmer ist es im Hinblick auf die Pflicht zur Rücksichtnahme aus § 241 Abs. 2 BGB verwehrt, sich ohne Einverständnis des Arbeitgebers betriebliche Unterlagen oder Daten anzueignen, diese ersatzlos zu löschen oder für betriebsfremde Zwecke zu vervielfältigen.

 

Normenkette

BGB §§ 626, 241 Abs. 2, § 249 Abs. 1, § 254

 

Verfahrensgang

ArbG Hamburg (Entscheidung vom 27.01.2022; Aktenzeichen 4 Ca 356/20)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 27. Januar 2022, Az. 4 Ca 356/20, wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten im Berufungsverfahren noch über die Wirksamkeit zweier fristloser arbeitgeberseitiger Kündigungen des zwischen ihnen bestehenden Arbeitsverhältnisses sowie über Schadensersatzansprüche, die die Beklagte gegen den Kläger geltend macht.

Die Beklagte ist eines der führenden Beratungsunternehmen für mittelständische Unternehmen. Der Kläger begann seine Tätigkeit bei der Beklagten als Partner und Berater am 1. Oktober 2010 auf der Grundlage des Anstellungsvertrags vom 17. September 2010 (Anlage K 1, Blatt 6 bis 8 der Akten), der u.a. folgende Regelungen enthält:

§ 9 Verschwiegenheitspflicht

Der Arbeitnehmer verpflichtet sich, über alle betrieblichen Angelegenheiten, die ihm im Rahmen oder aus Anlass seiner Tätigkeit in der Firma zur Kenntnis gelangen, auch nach seinem Ausscheiden Stillschweigen zu bewahren. Bei Beendigung des Anstellungsverhältnisses sind alle betrieblichen Unterlagen sowie etwa angefertigte Abschriften oder Kopien an die Firma herauszugeben.

§ 10 Herausgabe von Firmeneigentum und Pflicht zur Verschwiegenheit

Alle Daten über Mandanten und Zielfirmen/Zielkunden, von denen der Arbeitnehmer im Rahmen seiner Aufgabenerfüllung Kenntnis erlangt und die in den Datenbanken der Gesellschaft gespeichert und verwaltet werden, sind betriebliches Eigentum der Gesellschaft. Nach Aufforderung durch die Gesellschaft und bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses hat der Arbeitnehmer unverzüglich alle in seinem Besitz befindlichen Daten, Geschäftspapiere und -unterlagen und sonstiges Eigentum der Gesellschaft herauszugeben; es ist dem Arbeitnehmer untersagt, Kopien oder Abschriften - gleich in welcher Form - anzufertigen. Ein Zurückbehaltungsrecht ist ausgeschlossen.

Der Arbeitnehmer verpflichtet sich, über alle Angelegenheiten und Vorgänge, die ihm im Rahmen der Tätigkeit zur Kenntnis gelangen, Stillschweigen zu bewahren. Die Verschwiegenheitspflicht erstreckt sich auch auf die Vergütungsvereinbarung sowie auf weitere Einzelheiten des Vertrags und auf Angelegenheiten anderer Unternehmen, mit denen der Arbeitgeber wirtschaftlich und organisatorisch verbunden ist.

Diese Geheimhaltungsverpflichtung g...

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