Entscheidungsstichwort (Thema)

Unterrichtungs- und Anhörungsrecht der Schwerbehindertenvertretung. Leistungsbeurteilung als Gegenstand der Unterrichtungs- und Anhörungspflicht. Kein generelles Einsichtsrecht der Schwerbehindertenvertretung in die Unterlagen des Arbeitgebers

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Eine umfassende Unterrichtung i.S.d. § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX bedeutet, dass der Arbeitgeber der Schwerbehindertenvertretung unverzüglich die zur konkreten Angelegenheit gehörenden Informationen geben muss. Das Anhörungsrecht geht darüber hinaus, denn es verlangt, dass der Schwerbehindertenvertretung Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wird und der Arbeitgeber eine entsprechende Stellungnahme auch zur Kenntnis nimmt.

2. Mit einer Leistungsbeurteilung ist eine einseitige Willensbildung des Arbeitgebers über die Bewertung der Leistungen des schwerbehinderten Menschen nach vorgegebenen Beurteilungskriterien verbunden. Damit ist sie eine "Angelegenheit", die den schwerbehinderten Menschen betrifft, und fällt unter den Anwendungsbereich des § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX.

3. Eine spezielle Form der Unterrichtung schreibt das Gesetz nicht vor. Es besteht kein Anspruch der Schwerbehindertenvertretung auf Einsichtnahme in die Unterlagen des Arbeitgebers. Es obliegt allein dem Arbeitgeber, in welcher Art und Weise er die Unterrichtung durchführt.

 

Normenkette

SGB IX § 178 Abs. 2 S. 1; BetrVG § 80 Abs. 2 S. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Hamburg (Entscheidung vom 09.11.2021; Aktenzeichen 5 BV 13/21)

 

Tenor

Die Beschwerde der Schwerbehindertenvertretung gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Hamburg vom 09. November 2021 - 5 BV 13/21 - wird zurückgewiesen. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

 

Gründe

A.

Die Beteiligten streiten über Einsichtnahme der Schwerbehindertenvertretung in Unterlagen der Arbeitgeberin.

Die Antragstellerin ist die bei der zu 2. beteiligten Arbeitgeberin gebildete Schwerbehindertenvertretung. Die Arbeitgeberin beschäftigt in ihrem Betrieb in Hamburg etwa 700 Arbeitnehmer, darunter etwa 30 Personen, die anerkannt schwerbehindert oder einer schwerbehinderten Person gleichgestellt sind. Es besteht ein Betriebsrat.

Im Betrieb der Arbeitgeberin gibt es ein mehrstufiges Zielvereinbarungs- und Beurteilungssystem. Von der Festlegung der Beurteilungsstufe hängt die Höhe der für das jeweilige Kalenderjahr erfolgenden Bonuszahlung und eine etwaige Gehaltserhöhung im darauffolgenden Kalenderjahr an den Beschäftigten ab.

Es gibt drei Beurteilungsstufen:

- needs improvement (= verbesserungswürdig)

- strong (= gut)

- outstanding (= hervorragend).

Es werden die Kriterien Verhalten und Leistung beurteilt, so dass sich verschiedene Kombination je Arbeitnehmer, z.B. "strong/needs improvement" ergeben können. Die jeweiligen Abteilungsleiter können dann - auf Grundlage des zur Verfügung stehenden individuellen Abteilungsbudgets - festlegen, wie hoch der Bonus (prozentual auf das jeweilige Gehalt gerechnet) für welche der möglichen Kombinationen ausfallen soll. Das System ist in der "Betriebsvereinbarung Personal Development (PD)" (Anlage ASt 01, Bl. 14 ff. d.A., im Folgenden: BV PD) und in der "Betriebsvereinbarung zur leistungsabhängigen Bonuszahlung für die Grades BA2 bis VP Jahr 2019" (Anlage ASt 02, Bl. 20 ff. d.A.) geregelt.

In der BV PD ist u.a. geregelt:

"8 Schutzbestimmungen

8.1. Mitarbeiter mit einer Behinderung gemäß SGB IX

Bei der jeweiligen Zielfestlegung für diesen Personenkreis wird auf Wunsch des betroffenen Mitarbeiters die jeweilige Behinderung berücksichtigt. Daher können sich die Ziele (und damit auch die Zielerreichung) in diesen Fällen von denen anderer Mitarbeiter unterscheiden. Unberührt bleiben die Bestimmungen des AGG."

Im Vorfeld der Unterrichtung der Beschäftigten über die Festlegung ihrer Beurteilungsstufen und der Höhe der daraus resultierenden Bonuszahlung erstellt die Arbeitgeberin eine Datensammlung ("Gesamtliste"), aus der sich jedenfalls Name, Vorname, Abteilung, Schwerbehinderteneigenschaft, Gleichstellung, die beabsichtigte Beurteilungsstufe (für das laufende Kalenderjahr), der beabsichtigte Bonus (für das laufende Kalenderjahr) sowie eine etwaig beabsichtigte Gehaltserhöhung (für das darauffolgende Kalenderjahr) aller Beschäftigten ergeben.

Die Arbeitgeberin übersendet diese Datensammlung jeweils im Anschluss an die Erstellung an den Betriebsrat zur Einsicht und zur etwaigen Stellungnahme. Von diesem Stellungnahmerecht macht der Betriebsrat bzw. der Gehaltsausschuss des Betriebsrats üblicherweise Gebrauch, stellt Nachfragen bei Vertretern der Personalabteilungen und fordert ggf. Änderungen.

Die Schwerbehindertenvertretung bat im Jahr 2019 im Ergebnis erfolglos darum, dass die Arbeitgeberin ihr die Gesamtliste ebenfalls zur Einsichtnahme und etwaigen Stellungnahme übersende. Sie begründete dies mit ihrer sich aus Gesetz und den o.g. Betriebsvereinbarungen ergebenden Aufgabe als Vertrauensperson der schwerbehinderten Beschäftigten, etwaige Benachteiligungen der Gruppe der schwerbehinderten und gleichgestellte...

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