Entscheidungsstichwort (Thema)

ERA Hamburg. Zeitpunkt des Inkrafttretens. Nachwirkung bei Verbandsaustritt. Feststellungsinteresse des Arbeitgebers über Mitbestimmungsrecht des BR. Entlohnungsgrundsätze

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Tarifvertragsparteien können im Rahmen ihrer Tarifautonomie den Zeitpunkt des Inkrafttretens eines Tarifvertrags i. S. v. § 4 TVG frei wählen.

2. Ob ein Tarifvertrag in einer Einführungsphase bereits in Kraft getreten ist oder nicht, ist durch Auslegung des Tarifvertrags zu ermitteln.

3. Der Entgeltrahmentarifvertrag zwischen IG Metall Bezirk Küste und AGV Nordmetall ist nicht entsprechend einem Stufentarifvertrag im Zeitpunkt seines Abschluss in Kraft getreten.

4. Der Arbeitgeber hat ein rechtliches Interesse an der Feststellung des Bestehens eines Mitbestimmungsrechts gemäß § 87 I BetrVG, wenn der Betriebsrat ein solches Mitbestimmungsrecht in Abrede stellt.

 

Normenkette

TVG § 4

 

Verfahrensgang

ArbG Hamburg (Beschluss vom 22.08.2008; Aktenzeichen 13 BV 26/07)

 

Nachgehend

BAG (Beschluss vom 19.10.2011; Aktenzeichen 4 ABR 116/09)

 

Tenor

1) Die Beschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Hamburg vom 22.08.2008 (13 BV 26/07) wird zurückgewiesen.

2) Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Tatbestand

I.

Die Arbeitgeberin (Beteiligte zu 1) / Antragstellerin) und der Betriebsrat (Beteiligter zu 2) / Antragsgegner) streiten im Kern über die Frage, ob der Entgeltrahmentarifvertrag zwischen dem Arbeitgeberverband Nordmetall und der IG Metall, Bezirk Küste auf die Arbeitgeberin im Wege der Nachbindung gemäß § 3 III TVG Anwendung findet.

Die Arbeitgeberin war im Jahr 2003 Mitglied des Arbeitgeberverbands Nordmetall, Verband der Metall- und Elektro-Industrie e.V., Hamburg (i. F.: AGV Nordmetall). Am 23.05.2003 schlossen der AGV Nordmetall und die IG Metall, Bezirksleitung Hamburg, Bezirk Küste, einen Entgeltrahmentarifvertrag (i. F.: ERA). Mit diesem Tarifvertrag sollte in der Metall- und Elektroindustrie in Abkehr von einer langjährigen Tradition eine einheitliche Entgeltstruktur für Arbeiter und Angestellte eingeführt und die Trennung in Lohn- und Gehaltstarifverträge beendet werden.

Das Inkrafttreten des ERA ist in § 16 Ziffer 1 ERA wie folgt geregelt:

„1. Dieser Tarifvertrag tritt zum Zweck der Überleitung auf die neue Entgeltstruktur zum 01.09.2003 in Kraft.[…]

Ab dem 01.09.2003 kann der Entgeltrahmentarifvertrag auf freiwilliger Basis im Betrieb eingeführt werden.

Ab dem 01.01.2008 gelten die Bestimmungen des Entgeltrahmentarifvertrages in allen verbandsangehörigen Betrieben. Ab dem Einführungsstichtag gilt der Entgeltrahmentarifvertrag mit unmittelbarer und zwingender Wirkung. Gleichzeitig treten die bis dahin kraft Nachwirkung geltenden Lohn- und Gehaltsrahmentarifverträge außer Kraft.

Mit Zustimmung der Tarifvertragsparteien kann die Frist zur Einführung verlängert werden.”

Weiterhin haben die Tarifvertragsparteien in einer Protokollnotiz zu § 2 ERA festgehalten:

„Für die Ersteingruppierung bei In-Kraft-Treten dieses Tarifvertrages gelten die Überleitungsbestimmungen gemäß Einführungstarifvertrag vom 11. September 2003.”

§ 3 Ziffer 9 ERA lautet:

„Bis zum 31.12.2007 können freiwillige ergänzende betriebliche Richtbeispiele vereinbart werden.

Ab dem 01.01.2008 steht die Vereinbarung betrieblicher Richtbeispiele zu unternehmensspezifischen Tätigkeiten den Betriebsparteien nach § 87 I Nr. 10 BetrVG offen.”

§ 9 Ziffer 2.1 lautet:

„Die Betriebsparteien vereinbaren, ob und mit welchem Inhalt gemäß Ziff. 3 dieser Vorschrift die Methode Zielvereinbarung eingeführt wird.

Bei Uneinigkeit über das „Ob” gilt bis zum 31.12.2007

  • die unmittelbar Betroffenen sind zu hören
  • die Tarifvertragsparteien sind hinzuzuziehen
  • ein Unparteiischer ist um einen Vorschlag zu bitten. Der Unparteiische wird einvernehmlich oder durch Losentscheid bestimmt.

Ab dem 01.01.2008

  • die Entscheidung der betrieblichen Einigungsstelle.”

Zum weiteren Inhalt des ERA in der Fassung vom 23.05.2003 / 18.01.2006 / 31.05.2006 wird auf die Anlage Ast. 9, Bl. 67 – 100 d. A. verwiesen.

Am 11.09.2003 schlossen der AGV Nordmetall und die IG Metall, Bezirk Küste, einen Einführungstarifvertrag ERA (i. F.: ERA-ETV). Dieser Einführungstarifvertrag soll gemäß § 4 ERA-ETV die betriebliche Kostenneutralität der Einführung von ERA sicherstellen und regelt zu diesem Zweck in § 5 ERA-ETV die Zahlung einer Strukturkomponente, welche gemäß § 5 Ziffer 1 Abs. 2, 4. Spiegelstrich ERA-ETV auch in Form eines Anpassungsfonds verwendet werden kann.

Die betriebliche Einführung des ERA ist in § 2 ERA-ETV wie folgt geregelt:

  1. „Ab dem 01.01.2008 gelten die Bestimmungen des ERA in allen verbandsangehörigen Betrieben. Hierzu vereinbaren die Betriebsparteien u.a. die Modalitäten der Vorbereitung sowie die erforderlichen Berechnungsgrundlagen zur Feststellung der einführungsbedingten Mehr- oder Minderkosten. Ab dem Einführungsstichtag gilt ERA mit unmittelbarer und zwingender Wirkung. Gleichzeitig treten die bis dahin kraft Nachwirkung geltenden Lohn- und Gehaltsrahmentarifve...

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