Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsbedingte Kündigung. Interessenausgleich. Namensliste zu kündigender Arbeitnehmer

 

Leitsatz (amtlich)

1. § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG enthält eine gesetzliche Vermutung im Sinne von § 292 ZPO. Dies bedeutet, daß der Arbeitnehmer den vollen Nachweis führen muß, wonach dringende betriebliche Erfordernisse die Kündigung nicht bedingen.

2. § 1 Abs. 5 Satz 2 KSchG beinhaltet keine Änderung der Darlegungs- und Beweislast i.S.d. § 1 Abs. 3 KSchG. Nennt der Arbeitnehmer im Kündigungschutzprozeß die Namen von anderen Arbeitnehmern, die er für vergleichbar und sozial weniger schutzwürdig hält, ist der Arbeitgeber verpflichtet, substantiiert vorzutragen, welche Gründe ihn zu der getroffenen Sozialauswahl veranlaßt haben. Erst danach kann die Sozialauswahl auf „grobe Fehlerhaftigkeit” geprüft werden.

 

Normenkette

KSchG § 1; BetrVG §§ 111, 112a

 

Verfahrensgang

ArbG Essen (Urteil vom 20.08.1997; Aktenzeichen 5 (6) Ca 820/97)

 

Tenor

1) Auf die Berufung der Klägerin wird dasUrteil des Arbeitsgerichts Essen vom 20.08.1997 – 5 (6) Ca 820/97 – abgeändert:

Es wird festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigungen der Beklagten vom 17.02. und 26.02.1997 nicht beendet worden ist, sondern ungekündigt fortbesteht.

2) Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

3) Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung der Beklagten.

Die am 12.08.1937 geborene Klägerin ist seit dem 01.10.1978 bei der Beklagten als Abteilungsleiterin beschäftigt. Ihr Bruttomonatsgehalt betrug zuletzt DM 6.900,–. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden die Bestimmungen des Kündigungsschutzgesetzes Anwendung.

Nach entsprechendem Antrag des Vorstandes der Beklagten eröffnete das Amtsgericht Essen mit Beschluß vom 06.11.1996 das Vergleichsverfahren über die Beklagte und bestellte Herrn Rechtsanwalt M. zum vorläufigen Vergleichsverwalter.

In der Folgezeit strukturierte die Beklagte unter Mitwirkung des vorläufigen Vergleichsverwalters das Unternehmen insgesamt um, was zu einem erheblichen Abbau von Arbeitsplätzen führte. In diesem Rahmen kam es im Februar des Jahres 1997 zu Kündigungen, von denen 132 der bundesweit 970 Mitarbeiter der Beklagten betroffen waren.

Im Vorfeld der Entlassungen hielt der bei der Beklagten bestehende Gesamtbetriebsrat am 24.01.1997 eine Sitzung ab. Laut Protokoll der Sitzung sollten die dem Gesamtbetriebsrat am 20.01.1997 überreichten Arbeitnehmerlisten den örtlichen Betriebsräten zugänglich gemacht und von diesem beraten werden.

Mit Schreiben vom 14.02.1997 kündigte die Beklagte das mit der Klägerin bestehende Arbeitsverhältnis fristgemäß zum 31.03.1998 und bot ihr die zeitweilige Übernahme in eine Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft an. Dieses Angebot nahm die Klägerin nicht an.

Unter dem 25.02.1997 schlossen die bei der Beklagten installierten örtlichen Betriebsräte und die Unternehmensleitung der Beklagten eine Betriebsvereinbarung über die durchzuführende Betriebsänderung. § 4 der Betriebsvereinbarung lautet:

§ 4

Interessenausgleich

Von der beschriebenen und ausführlich erläuterten Betriebsänderung sind max. 280 Mitarbeiter des NB betroffen. Die betroffenen Mitarbeiter sind in der dieser Betriebsvereinbarung beigefügten Anlage 1 namentlich bezeichnet. Die soziale Auswahl wurde unter Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften in Zusammenarbeit mit dem jeweiligen Einzelbetriebsrat spätestens am 03.02.1997 getroffen. Der Betriebsrat hat seine Zustimmung zu dieser unvermeidbaren Maßnahme erteilt. Das Anhörungsverfahren gem. § 102 BetrVG ist damit abgeschlossen.

Allen in der Anlage 1 aufgeführten Arbeitnehmern kann daher gekündigt werden. Bei denjenigen Arbeitnehmern, die den dreiseitigen Vertrag fristgerecht unterschrieben haben, kann diese zurückgenommen werden.

Die Parteien sind sich weiterhin darin einig, daß für die in der Anlage 1 aufgeführten Arbeitnehmer, deren Anstellungsverhältnis beim NB durch Kündigung oder Aufhebung beendet wird, ausschließlich der noch abzuschließenden Sozialplan Anwendung finden wird. Ausgenommen hiervon sind Mitarbeiter, die Anspruch (auf Abfindung, ggf. weitere Ansprüche) aus dem Sozialplan vom 01.12.1995 geltend machen können.

In der Anlage der Betriebsvereinbarung findet sich im übrigen auf der Liste der zu kündigenden Arbeitnehmer auch der Name der Klägerin.

Mit Schreiben vom 26.02.1997 kündigte die Beklagte schließlich das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin erneut zum nächstmöglichen Termin, nachdem ausweislich eines Protokolls vom 25.02.1997 der örtliche Betriebsrat der Kündigung ausdrücklich zugestimmt hatte.

Mit ihrer am 28.02.1997 beim Arbeitsgericht Essen anhängig gemachten und am 05.03.1997 erweiterten Klage hat die Klägerin die Rechtsunwirksamkeit der ausgesprochenen Kündigungen geltend gemacht.

Sie hat zunächst gemeint, daß die Kündigung vom 14.02.1997 schon deshalb unwirksam sei, weil eine Zustimmung des Betriebsrats zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht vorgelegen ...

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