Entscheidungsstichwort (Thema)

Berücksichtigung krankheitsbedingter Kündigung bei Schwellenwert nach § 17 KSchG. Keine Berücksichtigung fristloser Kündigungen bei Schwellenwert nach § 17 KSchG. Unbegründetheit der krankheitsbedingten Kündigung mangels Nachweis wirtschaftlicher Belastungen

 

Leitsatz (amtlich)

Auch krankheitsbedingte Beendigungen sind Beendigungen iSd. § 17 Abs. 1 KSchG, so dass bei Überschreiten der Schwellenwerte unter Berücksichtigung dieser Beendigungen die Durchführung eines Konsultationsverfahrens nach § 17 Abs. 2 KSchG und die Erstattung einer Massenentlassungsanzeige nach § 17 Abs. 3 KSchG erforderlich ist.

 

Normenkette

KSchG §§ 17, 1; ZPO § 97 Abs. 1; ArbGG § 64

 

Verfahrensgang

ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 01.04.2021; Aktenzeichen 10 Ca 7888/20)

ArbG Düsseldorf (Aktenzeichen 10 Ca 7888/21)

 

Tenor

  • I.

    Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 01.04.2021 - 10 Ca 7888/20 - wird zurückgewiesen.

  • II.

    Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

    J. .Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses vor dem Hintergrund zweier krankheitsbedingter Kündigungen.

Der Kläger, geboren am 17.01.1981, verheiratet und drei Kindern zum Unterhalt verpflichtet, ist seit dem 15.04.2008 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin als Luftsicherheitsassistent tätig. Bis Ende 2020 erhielt der Kläger EUR 2.937,60 brutto als Monatsentgelt, ab Januar 2021 EUR 3.041,00 brutto.

Die Beklagte bietet Sicherheitsdienstleistungen an und führt seit dem 01.06.2020 die Fluggastkontrollen am Flughafen K. durch. Diesbezüglich hat sie Arbeitnehmer von ihrer Rechtsvorgängerin gem. § 613a Abs. 1 BGB übernommen. Für die Durchführung der Sicherheitskontrollen am Flughafen K. beschäftigt die Beklagte 1.041 Arbeitnehmer. Bei ihr ist ein Betriebsrat gebildet.

Die Arbeitnehmer der Beklagten, so auch der Kläger, werden in einem 6-2 Schichtsystem eingesetzt. Auf sechs Arbeitstage, die um 3.00 Uhr nachts, aber auch später in der Frühschicht beginnen können, folgen zwei Tage "Regelfrei". Danach werden wieder sechs Schichttage angesetzt.

In 2017 erhielt der Kläger an 62 Krankheitstagen Entgeltfortzahlung, im Jahr 2018 an 29 Tagen, im Jahr 2019 an 58 Tagen und im Jahr 2020 an 35 Tagen. Im Juni 2018 litt der Kläger an einer gutartigen Bindegewebswucherung (Fibromatrose). Er war im Juni 2018 vom 08.06.2018 bis 24.06.2018 arbeitsunfähig erkrankt. Vom 07.07.2018 bis 30.07.2018 war der Kläger vor dem Hintergrund eines Arbeitsunfalls nicht arbeitsfähig.

Mit Schreiben vom 04.03.2020 (Bl. 297 ff. dA.) lud die Beklagte den Kläger zu einem Gespräch zur Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements gem. § 167 Abs. 2 SGB IX ein. Nach Zustimmung des Klägers fand das Gespräch am 12.03.2020 statt. Hierin wurde das betriebliche Eingliederungsmanagement schriftlich (Bl. 306 dA.) übereinstimmend für beendet erklärt.

Mit Schreiben vom 17.11.2020 (Bl. 307 ff. dA.) hörte die Beklagte den bei ihr bestehenden Betriebsrat zu der beabsichtigten krankheitsbedingten Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers an. Der Betriebsrat widersprach der Kündigung mit Schreiben vom 24.11.2020.

Mit Schreiben vom 25.11.2020 (Bl. 30 dA.), dem Kläger zugegangen am 27.11.2020, erklärte die Beklagte die Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien zum 30.04.2021.

Im Zeitraum vom 25.11.2020 bis 22.12.2020 sprach die Beklagte mehrere Kündigungen aus krankheitsbedingten Gründen aus. Versehentlich kam es, entgegen der Anweisung des Geschäftsführers der Beklagten, zu einem verfrühten Ausspruch von Kündigungen im Monat Dezember 2020, so dass innerhalb eines Zeitraums von 30 Tagen mehr als 29 Kündigungen, nämlich 34, ausgesprochen wurden.

Mit Schreiben vom 13.01.2021 (Bl. 312 ff. dA.) hörte die Beklagte ihren Betriebsrat erneut zu einer krankheitsbedingten Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien an. Die Anhörung entsprach inhaltlich der Anhörung vom 17.11.2020. Der Betriebsrat widersprach der Kündigungsabsicht mit Schreiben vom 15.01.2021. Die beabsichtigte Kündigung sprach die Beklagte mit Schreiben vom 22.01.2021 (Bl. 67 dA.), dem Kläger am gleichen Tag zugegangen, aus.

Mit seiner am 09.12.2020 bei dem Arbeitsgericht Düsseldorf eingegangenen Klage hat sich der Kläger zunächst gegen die Kündigung vom 25.11.2020 gewendet. Mit einem weiteren, am 27.01.2021 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz hat er die Kündigungsschutzklage auf die Kündigung vom 22.01.2021 erweitert.

Der Kläger hat beide Kündigungen für unwirksam gehalten. Hinsichtlich der ersten Kündigung fehle es an einer Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit sowie an der Durchführung eines Konsultationsverfahrens mit dem Betriebsrat. Es liege auch keine negative Gesundheitsprognose vor. Eine im Jahr 2017 aufgetretene Analfissur sei ausgeheilt. Er sei am 24.08.2017 deswegen operiert worden und sei bis zum 30.08.2017 im Krankenhaus verblieben. Dies gehe aus der Bescheinigung seines Arzte...

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