Entscheidungsstichwort (Thema)

Entschädigung wegen Verstoßes gegen das Verbot der Benachteiligung wegen einer Behinderung. hier: Kündigung wegen auf einem Grundleiden beruhender Krankheitszeiten

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zur Ambiguität des Begriffs der „Behinderung” in EGRL 2000/78 und AGG.

2. Zur Kongruität der nach der Richtlinie sowie nach dem Gesetz gebotenen Abgrenzung des Begriffs „Behinderung” von dem der „Krankheit”.

 

Normenkette

AGG §§ 15, 1; SGB IX § 81 Abs. 2; KSchG § 1; EGRL 2000/78

 

Verfahrensgang

ArbG Essen (Urteil vom 08.11.2007; Aktenzeichen 8 Ca 1926/07)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Essen vom 08.11.2007 wird kostenfällig zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger verlangt von der Beklagten, weil diese eine Kündigung „aus krankheitsbedingten Gründen” erklärt hatte, nach § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG eine Entschädigung in Höhe von mindestens Euro 30.000,00.

Der am 13.06.1969 geborene Kläger ist seit dem 01.12.1992 als Kommissionierer bei der Beklagten beschäftigt. Sein durchschnittlicher Monatsverdienst liegt bei Euro 2.500,00 brutto.

Ab dem Jahr 2000 leistete die Beklagte an den Kläger wegen krankheitsbedingter Fehlzeiten jährlich im Umfang von 20 bis 56 Arbeitstagen Entgeltfortzahlung. Zu den die ab 2004 aufgetretenen Krankheitszeiten ist einer „Diagnose-Übersicht” der Bundesknappschaft vom 31.05.2007 Folgendes ausgeführt:

Lfd.Nr.

Vom

Bis

Kenn

AusTg

DiagSC

Klartext

019

17.05.04

28.05.04

0011

T14 0

Oberflächliche Verletzung an einer

S63 5

Verstauchung und Zerrung des Handg

020

21.07.04

01.08.04

0010

T14

Verletzung an einer nicht näher b

021

02.08.04

06.08.04

0004

M79

Sonstige Krankheiten des Weichteil

022

06.12.04

05.01.05

0030

M54 1

Radikulopathie

023

09.05.05

23.05.05

0014

B99

Sonstige und nicht näher bezeichne

024

22.08.05

02.09.05

0011

S40

Oberflächliche Verletzung der Schu

025

21.04.06

05.05.06

0014

M54 4

Lumboischialgie

026

20.07.06

25.08.06

0036

M54 1

Radikulopathie

027

26.01.07

02.02.07

0007

K52 9

Nichtinfektiöse Gastroenteritis un

028

02.04.07

30.04.07

0028

M54 1

Radikulopathie

029

03.05.07

11.05.07

0008

F32 9

Depressive Episode, nicht näher be

030

22.05.07

03.06.07

0012

R51

Kopfschmerz

R104

Sonstige und nicht näher bezeichnet

Der den Kläger behandelnde Arzt für Allgemeinmedizin R. gab dem Prozessbevollmächtigten des Klägers folgende Auskunft zu den Krankheitszeiten:

„Die Erkrankungen unter der Nr. 022, 025, 026, 028, 030 sind chronisch auf eine Degenerative Erkrankung des Bewegungsapperates zurück zu führen und hängen direkt zusammen. Die Erkrankung unter 029 ist ebenfalls eine chronische rezidivierende Erkrankung, sich indirekt an das WS Leiden anschliessend. Die anderen aufgeführten Erkrankungen sind passager.”

Nachdem der Kläger im Jahr 2007 vom 26.01.2007 bis 02.02.2007 und vom 02.04. bis 30.04.2007 fehlte, kündigte die Beklagte „aus krankheitsbedingten Gründen” das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 15.05.2007 fristgerecht zum 30.11.2007.

Mit der am 04.06.2007 vor dem Arbeitsgericht Essen erhobenen Klage hat der Kläger die Sozialwidrigkeit der Kündigung geltend gemacht. Im August hat er die Klage auf Zahlung einer Entschädigung gemäß § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG mit der Begründung erweitert, dass die Kündigung eine unzulässige Benachteiligung wegen einer Behinderung i. S. d. AGG darstelle.

Das Arbeitsgericht hat durch Urteil vom 08.11.2007 der Kündigungsschutz- und Weiterbeschäftigungsklage stattgegeben und die Klage auf Entschädigungszahlung abgewiesen.

Die Beklagte hat gegen das Urteil kein Rechtsmittel eingelegt. Der Kläger hält an dem Anspruch auf Entschädigungszahlung fest und greift mit der form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung das Urteil, auf das hiermit zur näheren Darstellung des Sach- und Streitstandes verwiesen wird, in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht und unter Wiederholung und Ergänzung seines erstinstanzlichen Vorbringens an. Er sieht weiterhin in der (unwirksamen) ordentlichen Kündigung, für deren soziale Rechtfertigung die Beklagte sich auf häufige krankheitsbedingte Fehlzeiten berufen hat, eine Diskriminierung wegen Behinderung. Die Behinderung resultiere aus seinem Rückenleiden. Aufgrund dieses Grundleidens sei in den kommenden drei Jahren mit Arbeitsunfähigkeitszeiten im bisherigen Umfang, d. h. mindestens im Umfang von einem Monat pro Kalenderjahr, zu rechnen. Dies bedeute eine dauerhafte Einschränkung der Teilhabe am Berufsleben. Das Obsiegen im Kündigungsschutzprozess sei keine ausreichende Sanktion für die durch die Kündigung erfolgte Diskriminierung.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Essen vom 08.11.2007 teilweise abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an ihn, den Kläger eine angemessene Entschädigung, mindestens 30.000, EUR, für die „krankheitsbedingte” Kündigung vom 15.05.2007 zu zahlen.

Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil und beantragt die Zurückweisung der Berufung.

Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze mit den hierzu überreichten Anlagen Bezug genommen.

 

Ent...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge