Entscheidungsstichwort (Thema)

Abgrenzung zwischen Dienstleistungsvertrag und Arbeitnehmerüberlassung anhand Analyse des Vertragsgegenstands. Wet-Lease-Vereinbarung keine Arbeitnehmerüberlassung. Dienstleistungscharakter einer Wet-Lease-Vereinbarung in der Luftfahrt. Kein Gestaltungsmissbrauch bei Wet-Lease-Vereinbarung in der Luftfahrt

 

Leitsatz (amtlich)

1. Für die Abgrenzung eines Dienstleistungsvertrags in der Form eines sog. gemischten Vertrages von Arbeitnehmerüberlassung ist die Analyse des Vertragsgegenstandes maßgeblich, so wie er sich in vertraglich vereinbarter und tatsächlicher Hinsicht darstellt und den sich daraus ergebenden Folgen für die Eingliederung und Weisungsbefugnis oder Aufsicht und Leitung bei dem Vertragspartner, der Gerät und Personal zur Verfügung gestellt bekommt.

2. Bei einer Wet-Lease-Vereinbarung in der Form des sog. ACMIO-Vertrags im Bereich der Luftfahrt handelt es sich um einen Dienstleistungsvertrag und nicht um Arbeitnehmerüberlassung.

3. Zur Abgrenzung zwischen zulässiger Vertragsgestaltung und Gestaltungsmissbrauch zur Umgehung von Arbeitnehmerüberlassung (hier verneint).

 

Normenkette

GRCh Art. 16; EGV 1008/2008 Art. 1, 13 Abs. 1; RL 2008/104/EG Art. 3 Abs. 1, Art. 5 Abs. 5; RL 96/71/EG Art. 1 Abs. 3; ArbGG § 61a Abs. 3, § 67 Abs. 2; AÜG § 1 Abs. 1, § 9 Abs. 1, § 10 Abs. 1; BGB § 613a Abs. 1; HGB § 557; ZPO § 520 Abs. 3, §§ 533, 97 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 27.11.2020; Aktenzeichen 11 Ca 4137/20)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 27.09.2022; Aktenzeichen 9 AZR 468/21)

 

Tenor

  • I.

    Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 27.11.2020 - 11 Ca 4137/20 - wird zurückgewiesen.

  • II.

    Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Kläger auferlegt.

  • III.

    Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten im Berufungsrechtszug zuletzt noch darüber, ob das Arbeitsverhältnis des Klägers aufgrund eines Betriebsübergangs oder aber aufgrund verbotener Arbeitnehmerüberlassung mit der Beklagten zu 2) besteht.

Der ursprüngliche Beklagte zu 1) (im Folgenden Beklagter zu 1) ist der Insolvenzverwalter über das Vermögen der Luftfahrtgesellschaft X. mbH (im Folgenden: Schuldnerin). Die Beklagte zu 2) ist eine Fluggesellschaft des N.-Konzerns mit Sitz in F.. Der Kläger war seit dem 11.12.2017 auf der Grundlage des Arbeitsvertrags vom 28.11.2017 bei der Schuldnerin als Flugbegleiter zu einem durchschnittlichen Bruttomonatsverdienst von zuletzt 2.246,33 F. beschäftigt. Über eine Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung verfügte die Schuldnerin nicht.

Die Schuldnerin trat nicht eigenständig am Markt als Anbieter von Flugreisen gegenüber Endkunden auf, sondern betrieb Flüge im Wet-Lease und zwar als ACMIO (Aircraft, Crew, Maintenance, Insurance, Operation) bezeichnet. Beim Wet-Lease stellt der Betreiber eines Flugzeugs dieses neben Besatzung, Wartung und Versicherung für den Flugbetrieb und auf der Flugstrecke einer anderen Fluggesellschaft zur Verfügung, wobei Flugzeuge und Besatzung nach außen wahrnehmbar, etwa durch die Lackierung des Flugzeugs und die Uniformen des Kabinenpersonals, dem Auftraggeber zugeordnet sind und lediglich ein Hinweis auf den im Wet-Lease operierenden Dienstleister erfolgt. Über eigene Flugzeuge verfügte die Schuldnerin nicht. Diese leaste sie von Dritten, im sog. Dry-Lease.

Mit diesem Geschäftsmodell war die Schuldnerin aus der Insolvenz der Air C. Q. und Co. Luftverkehrs KG (im folgenden Air C.) hervorgegangen. Im Jahr 2008 war die Air C. Muttergesellschaft der Schuldnerin geworden. In der Folgezeit leaste die Schuldnerin jedenfalls 15 Dash 8 Q400 Maschinen im Wege des Dry-Lease, sei es von Air C., sei es von der Deutschen M. AG (im Folgenden E. AG) bzw. Konzernunternehmen der M.. Die Komplementärin der Air C. hatte Anfang 2017 die Anteile an der Schuldnerin übernommen. Nach der Insolvenzeröffnung über das Vermögen der Air C. im August 2017 wurden die Geschäftsanteile an der Schuldnerin mit einem Anteilskauf- und Übertragungsvertrag vom 13.10.2017 an die M. Commercial Holding GmbH (im Folgenden M. GmbH) veräußert.

Am 25.10.2017 schloss die Beklagte zu 2. mit der Schuldnerin einen ACMIO Rahmenvertrag (im Folgenden ACMIO RV). In diesem hieß es u.a.:

"Dieser ACMIO RAHMENVERTRAG (dieser Vertrag) wird …

ZWISCHEN

(1) Luftfahrtgesellschaft X. mbH … (Leasinggeber)

und

(2) F. GmbH … (Leasingnehmer)

(Leasinggeber und Leasingnehmer werden einzeln auch als Vertragspartei und zusammen als Vertragsparteien bezeichnet)

geschlossen.

IN ANBETRACHT DER TATSACHE, DASS

(A) der Leasinggeber beabsichtigt, eine bestimmte kommerzielle Fahrgastbeförderung für den Leasingnehmer auf Grundlage von ACMIO (wet lease1) wie nachstehend dargestellt durchzuführen und dass der Leasingnehmer beabsichtigt, diese Leistungen des Leasinggebers anzunehmen, und dass

(B) die Vertragsparteien einen oder mehrere ACMIO Kurzverträge über die Erbringung von Leistungen in Erwägung ziehen, wobei diese Vereinbarungen dann den hierin und in Anlage 1 (Kurzform ACMIO) ...

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