Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialauswahl in der Insolvenz

 

Leitsatz (amtlich)

Nach § 125 Abs. 1 Nr. 2 InsO kann die soziale Auswahl der Arbeitnehmer nur im Hinblick auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter und die Unterhaltspflichten überprüft werden. Das Vorliegen einer psychischen Erkrankung eines Arbeitnehmers berechtigt die Betriebsparteien nicht, diesen unter Außerachtlassung der gesetzlichen Kriterien aus der Sozialauswahl herauszunehmen. Lässt sich jedenfalls nicht ausschließen, dass dem Kläger nicht gekündigt worden wäre, wenn den Betriebsparteien kein Auswahlfehler unterlaufen wäre, ist es dem Kläger nicht verwehrt, sich auf einen Mitarbeiter zu berufen, auf den sich bereits ein anderer Mitarbeiter erfolgreich berufen hat.

 

Normenkette

KSchG § 1

 

Verfahrensgang

ArbG Wuppertal (Urteil vom 27.10.2011; Aktenzeichen 4 Ca 709/10)

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Wuppertal vom 27.10.2011, 4 Ca 709/10, abgeändert:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers durch die mit Schreiben vom 16.02.2010 zum 31.05.2010 ausgesprochene Kündigung nicht aufgelöst worden ist.

II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger nach einem Streitwert von 26.271,36 EUR zu 67 %, der Beklagte als Gesamtschuldner zu 33 %. Die Kosten des Berufungsverfahrens nach einem Streitwert von 8.739,12 EUR hat der Beklagte zu tragen.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Mit seiner Klage begehrt der Kläger im Berufungsverfahren nur noch die Feststellung, dass eine seitens des Beklagten [erstinstanzlich Beklagter zu 1)] ausgesprochene betriebsbedingte Kündigung unwirksam ist.

Der am 12.01.1971 geborene, verheiratete Kläger, der zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtet ist, ist am 14.06.1994 bei einer Rechtsvorgängerin der u. T. GmbH, die eine Zulieferin der Automobilindustrie ist, als Maschinenbediener eingestellt worden.

Im Betrieb werden Lenksysteme für die Automobilindustrie produziert. Diese Lenksysteme setzen sich aus Stahlgehäusen, Axialen, Druckstangen, Zahnstangen und Ventilen sowie den entsprechenden Ventileinzelteilen wie Input-Shaft, t-bar und Pinion zusammen.

Bis Oktober 2008 war der Kläger, der gelernter Industriemechaniker ist, in der Schwenklagerfertigung in der Lohngruppe 7 tätig. Sodann wurde er in die Lenkungsmontage versetzt und dort mit Tätigkeiten der Lohngruppe 6 beschäftigt. Der Kläger erhielt zuletzt einen monatlichen Bruttolohn in Höhe von 2.913,04 EUR.

Mit Beschluss des Amtsgerichts Aachen vom 01.03.2009 wurde über das Vermögen der u. T. GmbH (im Folgenden: Insolvenzschuldnerin) das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zu 1) zum Insolvenzverwalter bestellt. Der Beklagte zu 1) war bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt und stand in dieser Eigenschaft mit dem bei der Insolvenzschuldnerin bestehenden Betriebsrat, für den seit Dezember 2008 ein betriebswirtschaftlicher Sachverständiger tätig war, in Kontakt. In der Zeit ab Dezember 2008 gab es eine Vielzahl von Besprechungen zwischen den Vertretern des Beklagten zu 1) und dem durch den Betriebsratsvorsitzenden B. Z. und dessen Stellvertreter N. I. vertretenen Betriebsrat.

Unter dem Datum vom 15.02.2010 schlossen der Betriebsrat und der Beklagte zu 1) einen Interessenausgleich mit Namensliste ab. Auf der Namensliste sind von den insgesamt 606 beschäftigten Mitarbeitern die Namen von 273 Beschäftigten aufgeführt, und zwar 131 Arbeitnehmer aus dem indirekten Bereich, 130 Arbeitnehmer aus dem direkten Bereich sowie acht Auszubildende, die statt der in § 8 des Tarifvertrages zur Beschäftigungsbrücke vorgesehenen einjährigen Übernahme im Betrieb der Insolvenzschuldnerin in die im Interessenausgleich vorgesehene Transfergesellschaft gewechselt sind und vier ehemalige Auszubildende, denen nach Ablauf der einjährigen Übernahme der Eintritt in die Transfergesellschaft zum 01.03.2010 ermöglicht worden ist.

Nach Ziffer 4 des Interessenausgleichs ist die Betriebsratsanhörung mit der Erstellung der Namensliste eingeleitet worden. Der Betriebsrat hat erklärt, dass er in Anbetracht der ausführlichen Diskussion über die einzelnen Kündigungen keine Stellungnahme mehr abgeben werde, so dass das Anhörungsverfahren mit der Unterschrift des Betriebsrates unter diesem Interessenausgleich beendet sei. Wegen des Inhalts des Interessenausgleichs nebst der Namensliste wird auf Bl. 58 – 74 der Akte Bezug genommen. Ein Sozialplan wurde nicht abgeschlossen, da die Insolvenzschuldnerin noch keine vier Jahre existiert hat.

Der Name des Klägers ist auf der Namensliste enthalten.

Die Massenentlassungsanzeige ist am 15.02.2010 bei der zuständigen Agentur für Arbeit eingegangen, was diese am gleichen Tag bestätigt hat (Bl. 91 ff. der Akte).

Dem Kläger wurde gemäß Ziffer 5 des Interessenausgleichs der Übergang in eine betriebsorganisatorisch eigenständige Einheit innerhalb der Transfergesellschaft, der X. GmbH, angeboten. Dieses Angebot hat der Kläger nicht angenommen.

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